Tanja und Johnny Haeusler, ein bisschen Netzgemüse und warum wir ihr Buch so gut finden
Auf der re:publica 2013 haben wir die beiden getroffen. Und wir waren gleich begeistert. Tanja und Johnny Haeusler gehen das Thema Medienkompetenz irgendwie anders an. Sie haben einen Ratgeber für Eltern geschrieben. “Netzgemüse: Aufzucht und Pflege der Generation Internet” erklärt, wie man das machen kann, mit der Erziehung und dem Internet. Ohne großes Luftanhalten und ängstliche Blicke. Sondern mit Vertrauen und Spaß an neuen Möglichkeiten. Tanja und Johnny Haeusler haben selbst zwei Söhne im Teenager-Alter, berichten von ihren eigenen Erfahrungen, Diskussionen und Familienmomenten – und möchten anderen Eltern helfen, die digitale Kultur der Jugendlichen verstehen und schätzen zu lernen.
Wir haben ihnen dazu ein paar Fragen gestellt. Hier sind die Antworten.
© Erik Weiss
Was war der Auslöser, “Netzgemüse” zu schreiben und wen soll es ansprechen?
Ein Auslöser könnte ein Elternabend gewesen sein, bei dem es um Mediennutzung der Kinder gehen sollte und dann eben doch nicht ging, weil alle Eltern schwiegen.
Beim anschließenden Bier erklärten sie uns: “Du kannst doch den Lehrerinnen nicht sagen, dass deine Kinder am Computer oder an der Konsole spielen! Das werden die bei jeder Gelegenheit gegen dich verwenden!”
Wir trafen Eltern, die das Internet abstellen wollten und solche, die kapitulierten und ihren Kindern Rechner und Konsole ins Zimmer stellten.
So oder so aber war man sich einig, dass neue Medien furchtbar sind. Befeuert wurde die Ablehnung durch den medialen Fokus auf Mobbing, Päderastentum, Spielsucht und was nicht alles.
Wir wollten Eltern mit dem Buch etwas an die Hand geben, was alltagstauglich ist und simpel zeigt, was wir dem Netz Postives abgewinnen können. Etwas, das auch ohne technisches Know-How funktioniert und Eltern ihr Selbstvertrauen in diesem Bereich zurückgibt.
Ihr habt zwei Kinder – machen die beiden euch in Sachen Internet eigentlich was vor? Oder überfordern die Kinder euch selbst manchmal, obwohl ihr so internetaffin seid?
Wenn sie uns etwas vormachen, dann können wir das natürlich nicht wissen und die beiden wären schön blöd, uns davon zu erzählen!
Erzählen tun sie aber sehr viel und das ist eine echte Bereicherung für uns, weil die Jungs uns Bereiche im Netz und Aspekte bei Spielen zeigen, die wir ohne sie gar nicht entdeckt hätten.
Wir sind vielleicht netzaffin, aber für vieles eben auch einfach zu alt.
Die Stars unserer Jungs finden auf YouTube statt und sind dort wahnsinnig erfolgreich. Manche haben über eine Millionen Abonnenten und laufen dabei völlig unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung. Da entwickelt sich eine bemerkenswerte Parallelwelt.
Beeindruckend ist auch das Engagement, mit dem Kinder und Jugendliche im Netz spielen. Das Wissen, das sie dabei ganz nebenbei erlangen und die Kreativität, die sie an den Tag legen, sind von großem Wert für ihre Zukunft.
Wo seht ihr Chancen des Internets im Bereich Bildung und Schule?
Wenn Deutschlands Bildung in der Krise steckt, könnte das auch daran liegen, dass Schule einfach nicht mehr zeitgemäß ist. Schüler erkennen inzwischen selbst, dass die Kompetenzen, die sie für ihre berufliche Zukunft brauchen, nicht mehr in der Schule vermittelt werden.
Wir sehen, dass 99% aller Jugendlichen online sind. Wir sehen, dass es kaum mehr Berufe gibt, die ohne IT-Kenntnisse auskommen. Wir sehen, dass die Länder, die neue Technologien mit neuen Formen des Lehrens und Lernens verknüpfen große Erfolge feiern. Und trotzdem macht hier jedes Kind einen Füller-Führerschein, Zehnfingertippen wird aber nicht unterrichtet. Man grübelt über individualisierbare Lernstrukturen, verteilt aber die selben Lernzettel an alle Kinder und hängt einheitliche Lernziele über jede Unterrichtsstunde.
Hier bietet das Netz als Informationsquelle oder Medium für offenen Lernplattformen so viele Möglichkeiten!
Als Mutter kriege ich außerdem jeden Morgen die Krise, wenn ich die Schultaschen der Söhne anhebe. Wie kann es sein, dass Heranwachsende im 21. Jahrhundert mehr schleppen müssen, als jeder Erwachsene? Wie wir aus der TV-Serie IT-Crowd wissen, wiegt das Internet nichts.
Wenn Sie also wissen möchten, worin die Chancen des Internets im Bildungsbereich liegen – fragen Sie ihren Orthopäden!
Allgemein heißt es ja oft, Kinder sollen lieber draußen spielen oder sich in der echten Welt mit Freunden treffen. Was sagt ihr dazu?
Es geht nicht darum, sich zwischen online und offline, zwischen drinnen und draußen zu entscheiden.
Das Netz ist eine Erweiterung, mehr nicht. Jugendliche, die sich in ihrer Freizeit dauerhaft vorm Rechner einigeln, haben ein Problem, das nicht im Medium begründet ist.
Denn natürlich wollen junge Menschen physisch beieinander sein! Um das G8er-Abitur zu schaffen, stehen aber schon Grundschüler unter hohem Leistungsdruck. Mehr Lern- und weniger Freizeit führt auch dazu, dass man sich eben nicht mehr zum Kicken treffen kann. Und Ganztagsbeschulung macht Jugendzentren, in denen man mit Freunden abhängt, überflüssig. Jugendlichen vorzuwerfen, sie würden sich nur noch auf Skype und Facebook treffen, grenzt an Zynismus.
Ihr sprecht oft vom “Lebens- oder Kulturraum Internet”. Was genau ist damit gemeint?
Wer heute unter 18 Jahre alt ist, wuchs mit dem Netz auf.
Für den heißt Fernsehen YouTube, der Plattenladen iTunes, das Radio Spotify, Telefonieren Skypen. Das Tagebuch ist ein Weblog, die Clique trifft sich auf Facebook und WhatsApp, statt sich an der Kinokasse vorbei zu schleichen, zieht man sich den Film auf kino.to, Ansichten teilt man via Twitter oder Instagram. Noch Fragen? Google!
In eurem Buch steht, dass Kinder das Internet als selbstverständlichen Bestandteil ihrer Welt verstehen, so wie die Generation vorher beispielsweise das Telefon. Wenn Kinder also schnell zu “Digital Natives” werden, in welchen Bereichen können nicht so netzaffine Eltern dort eigentlich eingreifen oder helfen?
Die oben genannten Beispiele haben allesamt analoge Vorfahren. Wenn wir es schaffen, das Netz nicht als technisches Monster, sondern als Medium zu verstehen, kann auch der digital ahnungsloseste Vater seinem Nachwuchs als erfahrener Berater zur Seite stehen. Im Grunde ist es doch alles schon da gewesen und die existenziellen Bedürfnisse der Menschen ändern sich nicht. Dank des Netzes können Eltern eigentlich viel einfacher teilhaben. Ausgeschlossen ist nur, wer sich nicht interessiert oder kategorisch ablehnt.
Das sollten Eltern lieber nicht riskieren.
Was sagen sie Eltern, die der Internetnutzung ihrer Kinder skeptisch gegenüberstehen?
Da, wo ich aufgewachsen bin, sagt man “Wat de Buer nich kennt, dat frett he nich.”
Das hab ich noch nie verstanden. Skepsis ist ja prima, aber immer nur Steckrübensuppe mit Kartoffeln? Dann vielleicht doch mal beim Netzgemüse naschen, oder?
Kurzvita der Autoren
Tanja und Johnny Haeusler betreiben gemeinsam das mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnete Weblog „Spreeblick“. Seit 2007 gehört das Paar außerdem zum Gründungs- und Veranstaltungsteam der „re:publica“, einer der wichtigsten europäischen Konferenzen für Online-Medien und die digitale Gesellschaft.
Johnny Haeusler, geboren 1964 und digital vernetzt seit 1990, schreibt seit über einem Jahrzehnt im Internet und in Printmedien wie Tagesspiegel, SPEX und WIRED über digitale Medien. Er arbeitet zudem als Radiomoderator und Musiker.
Tanja Haeusler, Jahrgang 1966, entwickelte nach dem Studium der Kunstgeschichte und Arbeit als Theater- und Filmrequisiteurin Ende der Neunziger Jahre ihre Begeisterung für das Internet, ihr Fokus liegt dabei auf lehr- und bildungspolitischen Themen.
Die Autoren leben mit ihren derzeit elf- und vierzehnjährigen Söhnen in Berlin.