„Die Marquise von O....“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Kleist)
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Grundlagen zum Thema „Die Marquise von O....“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Kleist)
Kleists Novelle "Die Marquise von O." lässt mehrere Lesarten offen. Welche Lesart oder Interpretation bietet sich eher an? Dieses Video wird sich genau damit beschäftigen. Wo finden sich in der Novelle militärische und religiöse Methaper? Inwiefern ist sie dem Aufbau eines Rührstücks gleich? Wie karikiert Kleist die Moral der bürgerlichen Gesellschaft? Nach dem Video weißt du mehr! Außerdem erläutert es dir, warum die Novelle "Die Marquise von O..." den wohl berühmtesten Gedankenstrich der deutschen Literaturgeschichte enthält. Viel Spaß beim Dazulernen!
Transkript „Die Marquise von O....“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Kleist)
Heinrich von Kleist: Die Marquise von O. - Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte
In der Erzählung “Die Marquise von O...” befindet sich der wohl berühmteste Gedankenstrich der deutschen Literatur. Nachdem der russische Graf die völlig erschöpfte Marquise vor einer Gruppe Soldaten in Sicherheit gebracht hat, steht der Satz:
„Hier – traf er, da bald darauf ihre erschrockenen Frauen erschienen, Anstalten, einen Arzt zu rufen; versicherte, indem er sich den Hut aufsetzte, dass sie sich bald erholen würde; und kehrte in den Kampf zurück.“
Erst im Laufe der Erzählung wird klar, dass dieser Gedankenstrich den Moment der Schwängerung der Marquise durch den Grafen markiert. Mit dieser rein schriftbildlichen Markierung vermeidet Kleist eine konkrete narrative Schilderung der Geschehnisse und lässt den Leser im Unklaren. Das tut er nicht nur hier...
Kleists Novelle kann als Satire auf bürgerliche Heuchelei und Doppelmoral verstanden werden, von der alle Figuren betroffen sind, auch die Marquise. Der Autor parodiert spitz und präzise die Brutalität der bürgerlichen Gesellschaftsordnung und ihr Versagen.
Denn die Familie ist nicht der Rückzugsort, wo man geliebt und angenommen wird, sondern sie untersteht strengen Regeln – die Respektierung der Sitte ist wichtiger als die Bedürfnisse des Individuum. Gleichzeitig verhalten die Figuren sich keineswegs moralisch bzw. sittlich.
Die Bürger stehen in ihrem Verhalten dem Stereotyp des von ihnen verachteten Adels sehr nahe. Kleist verspottet eine Gesellschaft, die von gewissen Dingen nur verblümt zu sprechen pflegt, in der alles erlaubt ist, solange es im Verborgenen geschieht.
Auch die Namensabkürzungen aller Figuren weisen auf ein Nicht-Nennen, nicht Aussprechen und Verheimlichen hin - das Thema der Novelle, bei der man auch von einem “erzählten Drama” sprechen kann.
Kleist legt keinen Wert auf Beschreibungen der Landschaft oder des Aussehens der Figuren. Durch die temporeiche Aneinanderreihung von Ereignissen und Dialogen hält er eine handlungsorientierte Spannung beim Leser aufrecht. Er benutzt den Aufbau eines geschlossene beziehungsweise tektonische Dramas:
Die Marquise befindet sich in familiärer und sozialer Integration. Durch die Anzeichen der Schwangerschaft ist sie innerlich verunsichert, wird schließlich familiär und sozial isoliert. Die Suche nach dem Vater ist ihr Ansatz zur Re-Integration. Obwohl sie wieder ins Elternhaus zurückkehren darf und den geständigen Grafen heiratet, ist sie innerlich verunsichert, bis sie sich schließlich aussöhnt.
Der Erzähler wertet durch seine Wortwahl und seinen Kommentar. Seine Haltung kann als eine ironische Distanz zum Geschehen bezeichnet werden. Dabei versetzt er sich in die Perspektive aller Figuren, was auf den Leser verwirrend wirkt, aber eine doppelte Charakterisierung der handelnden Personen zulässt.
Die Ironie wird insbesondere deutlich, als der Graf im Hause G... um die Hand der Marquise anhält. Der Vater bemerkt, dass der Graf “Damenherzen durch Anlauf, wie Festungen zu erobern gewohnt scheine”. Die Mutter spricht von den “vortrefflichen Eigenschaften, die der Graf in jener Nacht, da das Fort von den Russen erstürmt ward, entwickelte”.
Dazu finden sich viele religiöse Bilder in der Novelle. Die Entgegensetzung von “Engel” und “Teufel” zeigt die Widersprüchlichkeit der Person des Grafen. Religiöse Vergleiche wie die “Jungfrau-Empfängnis” oder Bezeichnungen wie “junger Gott” und “herrlich Überirdische” dienen den Figuren dazu, widersprüchliche Moralvorstellungen zu kaschieren - und entlarven auch die Religion.
In der Novelle befinden sich auch viele Metaphern aus dem Bereich Theater, die verdeutlichen sollen, dass die Figuren oft eine “Rolle” spielen. So wirkt auch die übertrieben dargestellte Versöhnungs-Szene zwischen der Marquise und den Eltern wie eine gegenseitige Inszenierung.
Der Erzähler spricht von einem “Schauplatz” der Erzählung. Die Mutter schließt den Vater vom Treffen mit dem Grafen aus, wegen der “Ungeschicklichkeit der Rollen”, die sie aber “zu spielen hätten”.
Beim Heiratsantrag fallen beim Erzähler Worte wie “Aufführung” und “Auftritt des Grafen”. Die Marquise hat einen “Ausdruck der Verzweiflung”. So lässt der Autor den Erzähler Mimik und Gestik beschreiben, wodurch er deutlich macht, was nicht ausgesprochen werden darf. Das verhüllte Umschreiben enthüllt das “Unaussprechliche” umso mehr.
Mit dem Erzähler wird ein durch die Sprache charakteristisches Bewusstsein vorgeführt und stellenweise parodiert. Die Marquise redet zum Beispiel häufig stockend, wenn sie zwischen den eigenen Wünschen und gesellschaftlichen Konventionen steht.
Mit den vielen Dass-Sätzen an jener Stelle, wo der verliebte Graf um die Hand der Marquise anhält, zeigt der Erzähler dessen Atemlosigkeit und Verwirrung. Gerade diese Stilmittel wurden stark kritisiert bei der Veröffentlichung 1808 im zweiten Heft der Zeitschrift “Phoebus”. Der ganze Sprachstil schien undeutsch, verschroben und steif. Außerdem seien die religiösen Motive pietätlos. Konkret wurde die Ablehnung der Novelle in folgenden Zitaten:
Dora Stock schrieb: “Seine (Kleists) Geschichte der Marquise von O... kann kein Frauenzimmer ohne Erröten lesen”. Und Karl Auguts Böttinger war der Meinung: “Nur die Fabel derselben angeben, heißt schon, sie aus den gesitteten Zirkeln verbannen”
Die “Marquise von O...” gehört heute zu den großen klassischen Novellen der deutschen Literatur. Für Rainer Maria Rilke ist die Novelle 1913 “ein Meisterwerk, dass ich immer wieder anstaune”. Theodor Fontane bezeichnete 1872 selbige als das “Glänzendste und Vollendetste”, das Kleist “je geschrieben” habe.
Gerhard Fricke sah in der Erzählung die Schwangerschaft der Gräfin betreffend “das Verhältnis des existierenden Ich zu seinem Schicksal.” So wie bei dem berühmten Gedankenstrich etwas vorenthalten, nicht gesagt wird, so verbergen auch die Figuren ihre Gefühle und Absichten, wenn sie im Widerspruch zu gängigen Moralvorstellungen stehen - denn individuelle Wünsche und gesellschaftliche Normen lassen sich schwer vereinbaren.
Gut und böse, schwarz und weiß - diese Extreme entlarvt Kleist als eine zu strenge Aufteilung, die dem Menschen nicht gerecht wird. Schiller schrieb dementsprechend über die Novelle: “Wir schweben hier gleichsam um die zwei äußeren Enden der Moralität, Engel und Teufel, und die Mitte - den Menschen - lassen wir liegen.”
„Die Marquise von O....“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Kleist) Übung
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Bestimme das Thema der Novelle „Die Marquise von O....“.
TippsDas Schicksal der Marquise von O.... steht im Mittelpunkt der Handlung.
Die Marquise von O.... kehrt nach dem Tod ihres Ehemannes ins Elternhaus zurück und lernt den Grafen F... erst später kennen.
LösungDie Novelle „Die Marquise von O....“ thematisiert die gesellschaftliche Ächtung der Marquise von O...., nachdem sie vom Grafen F... unwissentlich vergewaltigt und geschwängert wird. Die Familie der Marquise unterstellt ihr zunächst unsittliches Verhalten und verstößt sie. Die Marquise von O.... zieht mit ihren Kindern aus und sucht mithilfe einer Zeitungsannonce nach dem Vater ihres ungeborenen Kindes, der sich später als der Graf F... herausstellt.
„Die Marquise von O....“ von Kleist kann als Satire auf bürgerliche Doppelmoral und das Versagen der bürgerlichen Gesellschaftsordnung verstanden werden. Kleist verspottet mit seiner Novelle die Gesellschaftsform, in der alles erlaubt ist, was im Verborgenen geschieht.
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Benenne die sprachlichen Stilmittel der Novelle „Die Marquise von O....“.
TippsDer komplizierte Satzbau entsteht unter anderem durch die Verwendung vieler dass-Sätze, den Wechsel der direkten und indirekten Rede und seiner Wortwahl.
Auslassungen kommen in der Marquise von O... bei Namen, bei Ortsnamen, aber auch in Sätzen, um z. B. die Sprachlosigkeit oder die Atemlosigkeit von Figuren darzustellen.
LösungDie Novelle Die Marquise von O... ist bekannt durch seinen komplizierten Satzbau. Auch aufgrund der komplizierten Sprache, die oft wie eine Parodie auf die Sprache wirkt, waren die Reaktionen auf das Werk hauptsächlich negativ.
Der komplizierte Satzbau entsteht unter anderem durch die vielen dass-Sätze, den Wechsel der direkten und indirekten Rede, oder auch die ungewöhnliche Interpunktion, die scheinbar nach eigenen Gesetzen des Dichters verwendet wird.
Außerdem verwendet Kleist Sinnbilder. Hierunter zählen religiöse Bilder und Vergleiche. So wird der Graf F... als Engel und Teufel beschrieben und sollen die Widersprüchlichkeit der Person des Grafen zeigen. Die Metaphern aus dem Bereich des Theaters zeigen auf, dass die Rollen der Figuren oft inszeniert und unecht wirken.
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Untersuche, welche Handlungsabschnitte der Novelle der geschlossenen Form eines Dramas entsprechen.
TippsDas retardierende Moment bezeichnet eine Szene im Handlungsverlauf eines Dramas, die das Ende der Handlung hinauszögert und dadurch die Spannung erhöht.
LösungBei Dramen unterscheidet man zwei unterschiedliche Formen: die geschlossene und die offene Form. Merkmale eines geschlossenes Dramas sind z. B. die Einheit von Zeit, Ort und Handlung. Das bedeutet, dass es wenige Zeitsprünge, wenige Ortswechsel und es nur eine Haupthandlung ohne Nebenhandlungen gibt. Die geschlossene Form des Dramas folgt einer bestimmten Struktur, die du in der Aufgabe kennengelernt hast. Demnach sieht der Aufbau folgendermaßen aus:
- 1. Exposition: Anfang des Dramas
- 2. Steigende Handlung: Ingangsetzung der Handlung
- 3. Höhepunkt: entscheidende Wendung der Handlung
- 4. Retardierendes Moment: eventueller Ausweg
- 5. Lösung: Lösung oder Bestehen des Problems
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Analysiere das Frauenbild der damaligen Gesellschaft anhand der Figur der Marquise.
TippsObwohl die Mutter der Marquise den Entscheidungen ihres Mannes unterlegen ist, schafft sie es innerhalb der Handlung mit Geschicklichkeit ihren Willen durchzusetzen.
Die Marquise von O... trifft nach dem Auszug aus dem Elternhaus eigene Entscheidungen: Sie gibt eine Zeitungsannonce auf und bekennt sich zu einer Schwangerschaft ohne Vater. Sie entscheidet ihren Vergewaltiger zu heiraten, doch scheut auch nicht davor zurück, ihn abzulehnen, als sie erfährt, dass es sich um den Grafen handelt.
LösungDie Figuren der Marquise und ihrer Mutter beleuchten einige Aspekte des adeligen Frauenbildes um 1800. Demnach sind die Frauen den Männern der Gesellschaft unterlegen und gehen häuslich-familiären Tätigkeiten wie die Erziehung der Kinder. Wichtige Entscheidungen trifft in der Novelle der Vater, es wird zumindest seine Meinung erfragt und danach gehandelt.
Die Mutter, die zunächst sehr unterwürfig erscheint, stellt sich immer mehr als die entscheidende Person heraus. Sie schafft es mit List und Geschicklichkeit ihren Ehemann so zu manipulieren, dass die Geschehnisse nach ihren Vorstellungen ablaufen.
Die Marquise passt sich den gesellschaftlichen Mechanismen an, aber gewinnt Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit. Um einen Ausweg aus ihrer Situation zu finden und ihre Unschuld zu beweisen, scheut sie sich nicht, sich öffentlich zu der Schwangerschaft zu bekennen. Sie macht im Allgemeinen eine Entwicklung von einer fremdbestimmten zu einer selbstbestimmten Person.
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Definiere die Bedeutung der Auslassungen in der Novelle.
TippsHäufig wird der Gedankenstrich dort verwendet, wo man in der gesprochenen Sprache eine deutliche Pause macht. Kleist nutzt diese Markierung und verzichtet stattdessen auf die narrative Schilderung der Vergewaltigung.
Die Auslassung durch die Punkte ziehen sich durch die ganze Novelle. Sowohl die Namen als auch die Ortsnamen werden bis zum Ende des Werkes nicht konkret benannt.
LösungEin Gedankenstrich kann eine Sprechpause, aber auch Zusätze, Nachträge oder etwas Unerwartetes ankündigen. Der Gedankenstrich bei Kleist befindet sich mitten im Satz und erfüllt eine andere Funktion, die erst später bekannt wird. Erst später wird deutlich, dass dieser Gedankenstrich den Moment der Vergewaltigung der Marquise durch den Grafen F... markiert.
Außerdem verwendet Kleist Auslassungspunkte, um die Orte und die Namen zu verheimlichen. Die Figuren sind nur durch ihre Titel und ihre Anfangsbuchstaben bekannt. Damit suggeriert er den Lesern und Leserinnen, dass es sich um eine authentische Erzählung handelt.
Quelle: Kleist, Heinrich von (1808): Die Marquise von O.... URL: https://gutenberg.spiegel.de/buch/die-marquise-von-o-1-580/1 [Abgerufen am 25.11.2019].
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Entscheide, wie das Zitat Theodor Fontanes zu Kleists Novelle „Die Marquise von O....“ gemeint ist.
TippsWelche widersprüchlichen Verhaltensweisen fallen dir in Bezug auf die Figuren der Novelle ein?
Der Graf F... wird von der Marquise sowohl als Engel als auch Teufel beschrieben.
Der Vater der Marquise verstößt sie brutal, als er von ihrer Schwangerschaft erfährt.
LösungWenn du dich mit der Novelle „Die Marquise von O....“ beschäftigst, wird dir Widersprüchlichkeit und die Doppelmoral der Figuren sofort auffallen.
Dem Zitat von Fontane widersprechen vor allem die Figuren des Grafen und des Vaters der Marquise. Beide verhalten sich widersprüchlich und können daher nicht eindeutig korrekt kategorisiert werden. Obwohl der Graf beispielsweise das Ideal des höflichen und gebildeten Adels imitiert, vergeht er sich an der bewusstlosen Marquise. Anschließend zeigt er aufrichtig Reue und hält um die Hand der Marquise an. Es kommt zur Aussöhnung und zur Liebesheirat zwischen den beiden Figuren.
Ebenso verhalten sich der Herr von G... und der Forstmeister von G..., Vater und Bruder der Marquise, nicht korrekt, als es um die vaterlose Schwangerschaft der Marquise geht. Die Marquise wird von ihrem Vater verstoßen, der zudem noch den Forstmeister veranlasst, ihr die Kinder zu entreißen. Der Forstmeister folgt seinem Befehl, scheitert jedoch.
Diese Verhaltensweisen als korrekt und der Situation entsprechend zu bewerten ist in der heutigen Zeit nahezu nicht möglich, auch wenn sie damals den gesellschaftlichen Normen zu entsprechen schienen.
Quelle: Sembdner, Helmut (1995): Heinrich von Kleists Nachruhm. Eine Wirkungsgeschichte in Dokumenten. München: Hauser, 4. erweiterte Neuauflage, S. 600.
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