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„Traumnovelle“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Schnitzler)

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Deutsch-Team
„Traumnovelle“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Schnitzler)
lernst du in der Oberstufe 7. Klasse - 8. Klasse - 9. Klasse

Grundlagen zum Thema „Traumnovelle“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Schnitzler)

Warum war die "Traumnovelle" bei ihrer Erscheinung ein Skandal? Wie lässt sich Albertines Traum psychologisch deuten? Wieso benutzt Schnitzler erzählte Rede und inneren Monolog? Dieses Video beantwortet Dir diese und viele andere Fragen zur Rezeptionsgeschichte der "Traumnovelle". Außerdem zeigt es Dir einige aufschlussreiche Interpretationsansätze. Und dann kommt auch noch Tom Cruise vor... Viel Spaß!

Transkript „Traumnovelle“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Schnitzler)

Erotomane! Skandalautor!

Als die Traumnovelle 1925 erschien, hatte Arthur Schnitzler bereits seinen Ruf weg. Schon die Aufführungsgeschichte seines früheren Stückes Der Reigen wurde begleitet von Verboten, Tumulten und Saalschlachten. Man rechnete also bei Schnitzlers neuem Werk mit einer weiteren Grenzüberschreitung. Genauso war es - und die Traumnovelle sorgte in der Wiener Gesellschaft für gehörig Aufregung. “Schnitzler legte mit rauher Hand (...) den Seelengrund eines gesitteten Ehepaars bloß, auf dem es nur so wimmelte vom gräßlichen Gewürm der Lüste”, schreibt Hilde Spiel. Andere Kritiker rücken die Traum- und Märchenhaftigkeit und ihre dunklen, rätselhaften Seiten in den Vordergrund. Vor allem aber wird immer wieder untersucht, ob die Traumnovelle als dichterische Umsetzung von Sigmund Freuds Psychoanalyse verstanden werden kann. Der Kritiker Ernest S. Bates betrachtet Schnitzler als zweites Ich Freuds, denn seine Werke läsen sich geradezu als Lehrbeispiele der Freudianischen Schule. Bis 1930 erscheinen im deutschsprachigen Raum 30 Auflagen der S. Fischer-Ausgabe der Traumnovelle. Der Text wird 1928 erstmals in die Gesammelten Werke aufgenommen, die zu Schnitzlers 50. Geburtstag 1912 aufgelegt werden. Dazu kommen verschiedene Erzählbände, immer wieder Einzelausgaben. Doch schon bald nach Schnitzlers Tod gerät die Traumnovelle, wie das gesamte Schaffen des jüdischen Autors, in Österreich und Deutschland in Vergessenheit - denn die Nationalsozialisten ächten sein Werk. Zu seinem hundertsten Geburtstag erscheint dann eine Neuauflage der Gesammelten Werke, so dass sich das Interesse in den 60er Jahren wieder steigert. Aber wie kann die Traumnovelle in den Jahren der sexuellen Freiheit und Emanzipation der Frau noch jemanden beeindrucken? Die Antwort ist einfach: In Schnitzlers Novelle geht es um schwierige Fragen in der partnerschaftlichen Beziehung. Das zeitlose Dilemma zwischen Nähe und Distanz, Entfremdung und Verständnis, Verdrängung und Offenheit, Krise und Bewältigung. Dazu gehören: Selbstprüfung, Selbsterkenntnis und Selbstentdeckung. Die “Traumnovelle” war definitiv auch eine gesellschaftskritische Stellungnahme zum Herrschaftsanspruch des Mannes über die Frau, also dem Patriarchat. Schnitzler fordert eine gleichberechtigte Partnerschaft. Der Handlungsverlauf der Traumnovelle ist aus personaler Perspektive Fridolins, also sehr subjektiv, erzählt. Schnitzler verstärkt diesen Effekt, indem er “erlebte Rede” und “inneren Monolog” benutzt. Arbeitstitel war “Doppelnovelle” - ein Hinweis auf dichterische Form und Aufbau des Textes. Die Novelle enthält zwei Handlungsstränge, die jeweils sowohl getrennt voneinander verlaufen als auch eng miteinander vernetzt sind: Einerseits Fridolins traumartige Erlebnisse, die aber in der Realität stattfinden. Andererseits die realen, nicht selten auch traumartigen Erlebnisse Albertines sowie ihr unverkennbar in der Realität verankerter Traum. Hier haben wir auch zwei Realitätsebenen - Traum und Wirklichkeit. Im letzten Kapitel wird beides zusammengeführt: Fridolin erzählt Albertine seine nächtlichen Erlebnisse. Durch ihre Ehrlichkeit können beide einen Neubeginn wagen. Die Katastrophe einer Trennung ist abgewandt. Die grundsätzliche Zuneigung zueinander zeigt sich durch Berührungen und Gesten wie das Zusammenkommen der Hände. Durch Schnitzlers enge wissenschaftliche Verbindung zu Sigmund Freud, kann bei der Interpretation der Traumnovelle auf dessen Lehre von Ich, Es und Über-Ich zurückgegriffen werden. So offenbart Albertines Traum die Erfüllung von Wünschen und Vorstellungen, deren mögliche Realisierung ihr in der Wirklichkeit ihrer Ehe nicht bewusst geworden ist. Oder die von Fridolin - unbewusst und rollenbedingt - verhindert worden sind. Inhalt ihres Traums ist die Erfüllung erotischer beziehungsweise sexueller Wünsche, also ihre Triebbefriedigung. Dazu kommen Rachegefühle gegenüber Fridolin. Viele Elemente, Orte und Personen der Traumhandlung sind eng mit dem Alltag verknüpft und daher symbolisch: Albertines Brautkleid fehlt - vielleicht hätte sie gerne die Hochzeit damals verschoben? Denn die bunten Kleider im Schrank stehen für das vielfältige, freie Leben. Auch der Verlust der Kleider bedeutet den Verlust der Freiheit. Albertine gibt Fridolin die Schuld für dieses Gefühl; eine Gefühl, das die Ehe in ihr erzeugt. Albertine möchte nicht umsorgt werden, nicht abhängig sein, keine Wünsche unterdrücken: Freiheit statt Sicherheit. Albertines Bestrafung Fridolins zeigt ihre Enttäuschung darüber, dass sie nur noch “aneinander vorbei schweben”. Ihr Traum ist also ein übersteigertes Gleichnis ihrer gemeinsamen Ehewirklichkeit. Der Traum und seine Erzählung haben eine befreiende Wirkung auf Albertine. Anders bei Fridolin. Geprägt vom patriachalischen Rollenverständnis reagiert er schon zu Anfang “feindselig”, als Albertine von ihren Wünschen erzählt. Albertines Traumerzählung löst in Fridolin Hass- und Schuldgefühle aus. Immer mehr bestimmt das “Es” sein Handeln. Mit dem Aufenthalt in der Geheimgesellschaft gelingt ihm eine Projektion seiner triebhaften Wunschvorstellungen - ähnlich wie Albertines Projektion ihrer Wünsche auf den Dänen.
Zudem beruht die nächtliche Orgie auf Grundkomponenten von Albertines Traum: Sex, Grausamkeit und Tod. Die Maske hilft Fridolin, sich von den moralischen Normen des Alltags loszulösen. Doch nichts erfüllt sich, irgendwie bleibt Fridolin doch im Rahmen seiner sozialen Ordnung oder wird gehindert, diese zu verlassen. Die Unbekannt tut genau das, was ihm Albertine verweigert hat: sich für ihn restlos aufzuopfern. Eine Spiegelung seiner inneren Wünsche? Oder ist die Maskenträgerin sogar mit Albertine identisch? Damit die Ehepartner erneut zusammenfinden können, müssen die imaginären Anteile der Personen am Ende absterben: Die schöne Unbekannte der Nacht kommt ebenso zu Tode wie der sich opfernde Fridolin des Traums. Doch erst nachdem er Albertine seine Erlebnisse erzählt, spürt Fridolin auch ein Gefühl der Befreiung. Für das beidseitige Verständnis hat es beiderlei Erlebnisse gebraucht.

Die Beziehung erlangt eine neue Offenheit. Heute führen wir größtenteils gleichberechtigte partnerschaftliche Beziehungen, die offener und moralisch flexibler sind. Doch die Sehnsucht, von einem anderen Menschen restlos verstanden zu werden, bleibt. Somit ist die Traumnovelle die zeitlose, feinfühlige Beschreibung einer Ehe, die von Zuneigung getragen ist und nach einer Krise wieder gefestigt wird. Und gleichzeitig noch viel mehr: Schnitzler erzählt die Bedrohung des Bewußten durch das Unbewusste. Seine Forderung ist es, sich der Selbsterkenntnis und der Erkundung der eigenen Psyche nicht zu verweigern und auf diese Weise die eigene Freiheit zu verteidigen.

1999 versucht sich der berühmte Regisseur Stanley Kubrick an einer zeitgemäßen Verfilmung des Stoffs: “Eyes Wide Shut” mit Tom Cruise und Nicole Kidman. So bekommt Schnitzlers Text neue Aufmerksamkeit - der Verfilmung folgten eine Vielzahl von Neuerscheinungen und didaktischen Aufbereitungen für die Schullektüre.

1 Kommentar
  1. Eine Textversion wäre hier auch gut gewesen.

    Von Luzia Lulendo, vor etwa 7 Jahren
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