„Der Prozess“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Kafka)
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Grundlagen zum Thema „Der Prozess“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Kafka)
Franz Kafkas Romanfragment "Der Prozess" ist ohne Zweifel sein berühmtester Text. Gleichzeitig ist er auch der Text, der wohl am häufigsten interpretiert und gedeutet wurde. Wir werden uns in diesem Video mit der Frage beschäftigen, warum das so ist und welche Ansichten es gibt und gab. Dazu schauen wir uns die Geschichte der Rezeption an und stellen einige Vorschläge zur Interpretation vor. Viel Spaß beim Ansehen und viel Erfolg beim Lesen!
Transkript „Der Prozess“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Kafka)
Der Prozess (Franz Kafka) - Mögliche Interpretation und Rezeptionsgeschichte
Mitten in der Arbeit an “Der Prozess” bricht Franz Kafka sein Projekt ab. Der Text bleibt somit ein Fragment. Er ist unvollständig und lückenhaft. Die einzelnen Kapital sind ohne bestimmte Reihenfolge in Hefte und auf Textblätter geschrieben. In welcher Form sollte man solch einen Text am besten veröffentlichen? Und kann man ihn in dieser offenen Form überhaupt interpretieren?
“Der Prozess” wurde 1925 erstmals herausgegeben - nach Kafkas Tod, wie viele seiner bis dahin unveröffentlichte Werke. Kafkas bester Freund Max Brod, der auch sein Nachlassverwalter war, zeichnete sich verantwortlich für die Anordnung der einzelnen Kapitel. Er veröffentlichte den Text als eigenständigen und abgeschlossenen Roman.
Schon sehr bald gab es erste Stimmen dazu von namhaften Literaten, wie Hermann Hesse oder Kurt Tucholsky. Beide lobten Kafkas Werk - das bis dahin fast unbekannt war - und besonders den Roman “Der Prozess”. Hesse legte bei seiner Besprechung besonders Wert auf die traumhafte Ausgestaltung des Textes; Tucholsky lobte die erzählerische Stärke des Werks. Durch solche Kritiken wurde der Text sehr schnell bekannt und erlebte eine erste Hochzeit.
Im Nationalsozialismus wurde Kafkas Werk als “undeutsch” verboten und gemeinsam mit den Werken anderer jüdischer und liberaler Dichter verbrannt.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Kafkas Werk dann jedoch umso intensiver rezipiert. Seine düsteren Atmosphären - das Kafkaeske - erschienen wie ein vorweggenommener Kommentar zur Nazizeit. Besonders “Der Prozess” wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer wieder unter dem Gesichtspunkt des Nationalsozialismus interpretiert. Am berühmtesten ist hier wohl Theodor W. Adornos Interpretation, Kafka zeichne hier kein einzelnes Schicksal, sondern beschreibe schon auf visionäre Weise das System des Naziterrors.
Auch international wurde “Der Prozess” sehr berühmt. Dazu verhalf nicht zuletzt Orson Welles’ Verfilmung aus dem Jahre 1962. 1971 wurde das Stück dann erstmals in London einem Theaterpublikum präsentiert. Der deutsche Theaterautor Peter Weiss erarbeitete mehrere Fassungen für die Bühne, die ab den 80er Jahren auf vielen Bühnen weltweit aufgeführt wurden.
Bis heute steht “Der Prozess” auf dem Spielplan vieler Theater und das in vielen verschiedenen Fassungen. Die kafkaeske Handlung und das Traum- beziehungsweise Albtraumhafte der Geschichte prädestiniert den Text fast schon für die Bühne.
1999 wurde “Der Prozess” von einer Expertenjury zur zweitbesten deutschen Erzählung des zwanzigsten Jahrhunderts gewählt.
All das, sowie die vielen Übersetzungen, verschaffen dem Text bis heute eine sehr große nationale und internationale Popularität. Doch einig über den Sinn und die Interpretation ist man sich trotzdem nicht. Es gibt weltweit viele Forschungen zu dem Text und selbstverständlich viele Ansichten zur Interpretation.
Oft fängt die Schwierigkeit schon bei der Anordnung der Kapitel an. Diese wurde von Max Brod, dem Kafka sie in seiner Reihenfolge vorlas, aus der Erinnerung rekonstruiert. Bis heute gibt es mehrere Fassungen, die entweder die unvollendeten Kapitel einbauen oder sie separat in einen Anhang stecken.
Auch die Anordnung der vollendeten Kapitel ist nicht eindeutig, sodass verschiedene Forscher bestimmte Kapitel - wie “Im Dom” - an verschiedene Punkte der Erzählung stellen.
Auch über die Interpretation als Gesamtwerk wird oft gestritten. Es gibt Ansätze, die den psychoanalytischen Aspekt stark machen. Dieser geht davon aus, dass das Gefängnis im Grunde in K.’s Kopf ist - alles was über das Gericht gesagt wird seien also innere Vorgänge. Andere Interpretationen, wie die schon angesprochene von Theodor Adorno gehen von einem politischen Aspekt aus, nachdem interpretiert werden soll.
Einige neuere Vertreter, wie der Kafka-Experte Peter-André Alt, verweigern sich einer Interpretation über den Text hinaus. Sie versuchen, nur innerhalb des Textes eine Interpretation zu finden.
Diese Punkte machen eine Interpretation sehr schwer. Allerdings gibt es einen Aspekt, der bei vielen Kafka-Texten stets mitschwingt und das ist der persönliche Aspekt. Kafka verarbeitet sehr viele eigene Erfahrungen in seinen Texten - so auch bei “Der Prozess”. Zwischen 1912 und 1914 hatte Kafka eine Beziehung zu Felice Bauer. Diese empfand der Schriftsteller oft als belastend, gerade in Bezug auf den Zwang zu heiraten. Die Verlobung beschrieb er als “Verurteilung”.
Als diese 1914 aufgelöst wurde, nennt er diese Szenerie im Hotel “Askanischer Hof” als “Tribunal” und “Gerichtshof”. Kurz darauf beginnt er mit der Niederschrift von “Der Prozess”.
Weitere Parallelen tun sich in der Namensgebung auf: Der Protagonist heißt “K.” mit Nachnamen, mehr weiß man nicht.
Es liegt nahe, auf Kafka selbst zu schließen. Die Initialen der Mitmieterin Fräulein Bürstner sind dieselben wie die von Felice Bauer. Wie Josef K., so muss auch Kafka sich bei seiner Arbeit als Versicherungsangestellter durch sehr viel Büroarbeit und Bürokratie kämpfen. Allein diese Indizien machen eine Interpretation vor biographischem Hintergrund möglich und sinnvoll.
Eine allgemeingültige und vollständige Interpretation wird wohl trotz allem nie möglich sein. Doch eben das macht auch den Reiz dieses Textes aus. Er ist in viele Richtungen deutbar und auslegbar, jedoch nie bis zum letzten Punkt. Der Text ist und bleibt Fragment - soviel ist wissenschaftlich gesichert.
Doch er wird auch heute immer wieder neu gelesen und adaptiert. Es gibt Opern mit Grundlage des Textes, Musikbands und Filmemacher, die sich inspirieren lassen. All das eben, weil der Text so vieldeutig und offen ist.
„Der Prozess“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Kafka) Übung
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Beschreibe den Interpretationsansatz, der auf das Leben Kafkas Bezug nimmt.
TippsKafka löste 1914 seine Verlobung auf und begann kurz darauf mit dem Schreiben des „Prozesses“. Welche Ereignisse baute er in das Werk ein, welche Parallelen kannst du sehen?
Die Methode, durch das Leben des Autors sein Werk zu erklären, nennt man biographisch.
LösungEs gibt einige Interpretationsansätze der Werke Kafkas. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Kafka seine Werke häufig fragmenthaft ließ und nicht selbst herausgab, sich auch nicht zu möglichen Interpretationen äußerte. Außerdem sind einige Kritiker der Meinung, dass das künstlerische Werk Kafkas über dessen eigenes Fassungsvermögen hinausging.
Eine Interpretationsmethode, die aber in fast allen Schriften über Kafka und sein Werk auftaucht, ist die biographische. Kafka nutzte nachweislich sein Schreiben, um seine persönlichen Probleme künstlerisch zu verarbeiten. Indem er ihnen eine Form und Stimme gab, konnte er besser mit ihnen umgehen. Die Nachweise dazu erhalten wir aus Tagebüchern und Briefen.
Im Fall des „Prozesses“ wurde Kafkas Schreibprozess durch die Auflösung seiner Verlobung mit Felice Bauer 1914 eingeleitet. Er hatte in eigentlich geheimen Briefen an Grete Bloch, einer Freundin von Felice, seine Angst vor der Heirat, die er als Zwang empfand, geschildert. Grete erzählte es Felice. Zusammen saßen sie in einem Hotel in Berlin vor Kafka zu Gericht: Kafka empfand diese Szene als Prozess und sich selbst als nichtsahnenden Angeschuldigten.
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Gib die verschiedenen Stationen der Rezeption des Prozesses wieder.
TippsOrdne die einzelnen Stationen anhand des Auftretens von Personen: Wann lebten Hesse und Tucholsky, Adorno oder Welles?
LösungWie viele berühmte Autoren erlebte auch Kafka den großen Durchbruch seiner Werke nicht mehr. Er starb in jungem Alter und hinterließ die meisten seiner Romane und Erzählungen als Fragmente. Das stellte den Herausgeber Max Brod, Kafkas Freund und Nachlassverwalter, vor große Schwierigkeiten: Aus dem Gedächtnis musste er die beabsichtigte Reihenfolge rekonstruieren.
Nach Herausgabe des Werkes erhielt es aber sogleich von namhaften Kritikern Resonanz: Hermann Hesse und Kurt Tucholsky lobten es in den Himmel. Der Erfolg währte jedoch nicht lange: Die NS-Ideologie verbat, das Buch zu lesen: Es wurde aufgrund der Thematik und der jüdischen Wurzeln Kafkas als „undeutsch“ verbrannt.
Die Zeit nach den Nazis brachte für Kafka jedoch die Wende: Er wurde von berühmten Philosophen und Sozialtheoretikern wie Theodor Adorno als Visionär des Nazi-Terrors gedeutet. Das dunkle, unheimliche, maschinelle System von unterwerfenden Kräften drückte sich im kafkaesken Stil aus. Von dort an wurde das Werk immer wieder rezipiert: in Film, Theater, Musik, Malerei und Literatur.
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Begründe, warum das Werk so schwierig interpretierbar, aber auch populär ist.
TippsDa Kafka selbst sich nicht zu einer Interpretation seines Werks geäußert hatte, gibt es viele verschiedene Interpretationen, die sich auf verschiedene Bereiche des Buches beziehen. Auf was greift das Werk visionär voraus?
LösungGroße Werke der Literatur sind zeitlos: Sie bleiben offen für immer neue Interpretationen und verlieren aufgrund ihrer Thematiken und Motive nicht ihre Relevanz. Zu dem großen Interpretationsspielraum trägt auch häufig bei, dass sich der Autor nicht eindeutig zu seinem Werk geäußert hat.
- Dazu zählt auch Kafkas Roman „Der Prozess“. Da Kafka vor Vollendung des Werkes starb, blieb der Roman fragmenthaft; die Anordnung der Kapitel wurde von Kafkas Freund Max Brod übernommen. Jede Interpretation stützt sich jedoch auf den Verlauf der Handlung. Allein deswegen ist das Werk nur uneindeutig interpretierbar.
- Für die Vielzahl an Interpretationsmöglichkeiten sprechen aber auch noch andere Punkte: Kafka hat sich nie eindeutig zu einer Interpretation geäußert; außerdem war sein Schreibprozess sehr psychologisch geprägt. Viele Bilder, Metaphern und Symbole sind assoziativ entstanden und somit auf vielerlei Weise auslegbar.
- Weiterhin griff Kafka mit der Thematik um Bürokratie, Vereinnahmung des Privatlebens und dunkle, alles kontrollierende Mächte visionär auf die totalitäre Herrschaft der Nazis voraus. Dies macht sein Werk noch immer aktuell und relevant.
- Das Werk wurde allerdings schon vor seinen Adaptionen und Verarbeitungen in anderen Werken bekannt. Nicht zuletzt erlangte es große Bedeutung, da es sich auf eigene, philosophische Gedanken Kafkas (Gerichtsbarkeit ohne juristische Grundlage) stützte und so eine eigene Schule begründete.
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Ordne den verschiedenen Methoden die dazu passenden Interpretationsansätze zu.
TippsMit welchen Themen beschäftigen sich die einzelnen Wissenschaftsbereiche? Vergleiche dazu beispielweise die Verbindung zwischen der Wissenschaft der Theologie und Gott oder der Geistesgeschichte und dem Epochenbegriff.
Der literatursoziologische Ansatz bezieht sich auf gesellschaftliche, soziale und politische Umstände der Entstehungszeit des Textes.
LösungKafkas Werke sind allesamt nicht leicht zu interpretieren. Da Kafka sich nicht nur mit wiederkehrenden Problemen der menschlichen Existenz, sondern auch mit Ausprägungen von Herrschaft, Normen und Scheitern beschäftigt, kommen die Interpretationen zu seinem Werk aus vielen Fachrichtungen:
- Die biographische nimmt Bezug auf Kafkas Leben.
- Die textimmanente nimmt nur auf Strukturen des Textes Bezug und erklärt das Werk aus den Worten, Taten und Beschreibungen von Josef K.
- Die psychoanalytische erklärt alle Geschehnisse als innere Vorgänge K.'s und sieht das Gericht als eine Art Über-Ich.
- Die literatursoziologische nimmt auf die historischen und gesellschaftlichen Begebenheiten des Ersten Weltkriegs und die Herrschaftsform der Bürokratie Bezug.
- Die geistesgeschichtliche versucht, das Werk in zeitgenössische Strömungen und Philosophien einzubetten.
- Die theologisch-philosophische betrachtet den Roman unter Gesichtspunkten von Schuld, Sühne, Erkenntnis etc.
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Schildere Max Brods Rolle bei der Herausgabe des Romans.
TippsViele Handlungen von Max Brod im Umgang mit den Werken von Kafka sind umstritten. Wo könnte Brod falsch gehandelt haben?
LösungMax Brod spielte eine große Rolle sowohl beim Schreiben als auch beim Veröffentlichen der Werke Kafkas. Kafka las seinem langjährigen Freund während des Schreibens immer wieder aus den unfertigen Schriften vor, während Brod seinem Freund durch Einwände und Kritik Verbesserungsvorschläge geben konnte.
Nach Kafkas frühem Tod übernahm Brod die Rolle als Nachlassverwalter der Schriften. Er war nicht Kafkas Verleger, sondern fungierte in der Rolle des Herausgebers: Da Kafka beinahe alle seine Werke als Fragmente hinterlassen und auch keine Reihenfolge der losen Manuskriptseiten festgelegt hatte, musste Brod die einzelnen Kapitel in der Anordnung anhand der Lesungen bestimmen. Die Anordnungen Brods sind jedoch in der heutigen Forschung umstritten: Einzelne Kapitel wie „Im Dom“ werden teilweise an komplett andere Stellen gesetzt, während die fragmentarischen Kapitel häufig ans Ende des Buches in den Anhang gesetzt werden.
Übrigens setzte sich Brod mit der Herausgabe der Werke über die Verfügung des Autors hinweg, der seine Schriften nicht in der Öffentlichkeit, sondern im Feuer sehen wollte. Hatte Brod damit seine Befugnisse überschritten?
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Untersuche die Rezension von „Der Prozess“ von Kurt Tucholsky.
TippsTucholsky sah schon als erster Kritiker die immensen Schwierigkeiten, das Werk eindeutig zu interpretieren. Er begegnet so Lesarten, die häufig die Deutungshoheit beanspruchten.
LösungNach Veröffentlichung des Romans erlebte „Der Prozess“ eine wahre Erhebung in den Literaten-Himmel. Namhafte und damals bereits populäre Autoren wie Hermann Hesse und Kurt Tucholsky lobten das Werk aufgrund seiner neuen und unheimlichen Stimme. Sie bewunderten, wie es dieser junge Kafka schaffte, sie zu überraschen und nachhaltig vor den Kopf zu stoßen.
In obigem Ausschnitt aus Tucholskys Rezension wird das klar: Er sieht eindeutig, dass das Werk nicht eindeutig zu interpretieren sei. Die dunkle, verborgene Stimme, die spricht, ohne dass man wissen könne, wer spricht, ließ ihn schaudern. Er verweigerte sich einer rein theologischen oder allegorischen Auslegung genau wie einer Freud'schen Psychoanalyse des Protagonisten. Damit, so seine Meinung, hätte das Werk eine Reichweite, die nicht abzusehen sei. Und er behielt damit Recht.
Quelle: Kurt Tucholsky (1926): Der Prozeß.
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