„Frühlings Erwachen“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Wedekind)
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Grundlagen zum Thema „Frühlings Erwachen“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Wedekind)
Worum geht es in Frühlings Erwachen? Was sind die wichtigsten Themen und wie interpretiert man sie? Weißt du es? Es geht um Jugendliche und um ihre Sexualität. Sie entdecken sie, sie erschrecken, sie sind fasziniert, sie haben viele Fragen. Doch auf diese Fragen antwortet niemand. Wieso, das erfährst du in diesem Video. Du lernst die bürgerliche Moral der Erwachsenen kennen, die die Jugendlichen wie Kinder behandeln und die Sexualität zum Tabuthema erklären. Du wirst hier auch erfahren, wann das Stück zum ersten Mal ohne Zensur aufgeführt wurde. Viel Spaß!
Transkript „Frühlings Erwachen“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Wedekind)
„Es kann ja doch nichts Hässliches sein, wenn sich alles darüber freut!“ sagt Wendla Bergmann zu ihrer Mutter über die Sexualität. Wendla ist eine von vielen Jugendlichen in “Frühlings Erwachen”. Ihr Leben ist bestimmt von Hausaufgaben und Schule, dabei haben sie ganz anderes im Kopf. Sie denken über das Leben nach, über die Zukunft und vor allem: über ihre erwachende Sexualität.
Sexualität als Tabu-Thema
Kurz vor seinem Selbstmord zieht Moritz Stiefel Bilanz: „Es hat etwas Beschämendes, Mensch gewesen zu sein, ohne das Menschlichste kennengelernt zu haben.“ Sex sieht er als das Menschlichste überhaupt an. Ganz anders sehen das die Erwachsenen im Stück. Sie erklären die Sexualität zum Tabu-Thema für die Heranwachsenden.
Melchiors und Moritz intime Gespräche
Ihre mangelnde Offenheit den Jugendlichen gegenüber führt zur Tragödie. Schauen wir uns jetzt diese zwei Pole genauer an: die erwachende Sexualität der Jugendlichen und den Umgang der Erwachsenen damit. Von ihrer Lust fasziniert und erschreckt zugleich, reden Melchior und Moritz über ihre „männlichen Regungen“.
Melchiors Aufklärungsschrift
Moritz fühlt sich von seinen sexuellen Gedanken beunruhigt und schämt sich. Melchior verspricht ihm eine Aufklärungsschrift. In dieser klärt er Moritz in zwanzig Seiten über den Geschlechtsakt auf.
Wendlas Lustempfinden
Auch Wendla möchte endlich wissen, wie ihre Schwester zu ihren Kindern kommt. Dass ihr Interesse nicht nur theoretisch ist, zeigt sich in den Szenen mit Melchior. Einmal bittet Wendla ihn, sie zu schlagen. Grund dafür ist nicht nur ihre Neugierde, sondern auch Lust. Bei der zweiten Begegnung schlafen Melchior und Wendla zusammen. Wendla will ihn zwar davon abhalten, weil sie ahnt, dass sie davon schwanger werden könnte.
Hänschen Rilows erste Erfahrungen
Auch Hänschen Rilow, Schulkamerad von Wendla und Melchior, macht seine ersten sexuellen Erfahrungen. Er befriedigt sich auf der Toilette zu Kunstreproduktionen von nackten Frauen. In dieser Szene wird zudem deutlich, wie sehr die Schule das Denken der Jugendlichen bestimmt. Selbst beim Ornanieren benutzt Hänschen sehr gehobene Sprache wie in literarischen Werken.
Das Betteln um Aufklärung
Später trifft er sich mit seinem Schulkameraden Ernst Röbel. Ihr Gespräch mündet in Küssen und einem Liebesgeständnis. Doch von all dem haben die Erwachsenen nicht die leiseste Ahnung. Sie behandeln die Jugendlichen wie Kinder. Selbst als Wendla ihre Mutter auf den Knien um Aufklärung anfleht, speist sie sie mit einer Halbwahrheit ab.
Die Wahrheit als Schande
Sie hält es für unmoralisch, einer Vierzehnjährigen die Wahrheit über die Sexualität zu sagen. Dies führt dazu, dass Wendla schwanger wird und in letzter Konsequenz stirbt. Auch nach ihrem Tod bleibt die Wahrung der Fassade das Wichtigste für Frau Bergmann: Auf dem Grabstein steht als Todesursache „Bleichsucht“. Die Wahrheit muss vertuscht werden, zu groß wäre die Schande für die Familie.
Melchiors Mutter
Fortschrittlicher ist Melchiors Mutter. Allerdings spricht auch sie mit ihm nicht offen über die Sexualität. Sie ahnt nichts von seinen wilden, triebhaften Seiten. Als sie erfährt, dass er Wendla geschwängert hat, ist sie schockiert. Sie stimmt einer Erziehungsanstalt als Maßnahme gegen Melchiors Verhalten zu.
Melchiors Vater fasst zusammen, was Melchior dort lernen soll: „(...) das Gute zu wollen statt des Interessanten.“ Außerdem soll er nach dem Gesetz und nicht nach seiner Natur handeln. Damit spricht er stellvertretend für alle Erwachsenen: Sie alle stellen die starren moralischen Regeln über das Natürliche, was mit ihren Kindern in der Pubertät passiert.
Die Lehrer als boshafte Karikaturen
Vollends von der Natur und auch von allem Menschlichen entfremdet sind die Lehrer: Sie treten als Karikaturen, als lächerliche und boshafte Figuren auf. Die Aufklärungsschrift von Melchior verurteilen als unmoralisch. Melchior verteidigt sich: „Ich habe nicht mehr und nicht weniger geschrieben, als was Ihnen eine sehr wohlbekannte Tatsache ist!“
Wedekinds Kritik an Moralvorstellungen
Doch mit diesem Argument kommt Melchior nicht gegen die Versammlung an. Selbst sein Vater urteilt über die Aufklärungsschrift: „Wer das schreiben kann, (...), der muss im innersten Kern seines Wesens angefault sein.“ Falsch ist jedoch nicht Melchior, sondern die bürgerliche Moral der Erwachsenenwelt. Sie verurteilen die Sexualität, das Natürliche wird zum Unmoralischen. So übt Wedekind Kritik an den lebensfeindlichen Moralvorstellungen seiner Zeit.
Die Stimmen der Kritiker
Wedekind war 26 Jahre alt, als er die Tragödie 1891 schrieb. Bis sie endlich auf die Bühne kam, vergingen 15 Jahre. Die erste Auflage des Drucks wurde von Wedekind selbst finanziert. Die ersten Kritiker fanden die Tragödie zu wenig dramatisch aufgebaut. Viele stießen sich zudem an der Darstellung der Sexualität der Jugendlichen. Oder sie bemängelten, dass das Drama keine Problemlösung anbiete.
Der Erfolg der Tragödie "Frühlings Erwachen"
Zu einer dritten Auflage kam es erst 1903. Dann aber setzte der Erfolg ein. Fünf Jahre später erschien schon die 22. Auflage. Die Uraufführung 1906 in Berlin war stark zensiert. Das Publikum war mit seinen moralischen Vorstellungen nicht bereit für “Frühlings Erwachen”. So wurden die Selbstbefriedigungsszene Hänschens, die homoerotische Szene zwischen Hänschen und Ernst sowie die Gewaltszene zwischen Wendla und Melchior ersatzlos gestrichen.
Die Aktualität von Wedekinds Werk
Dennoch war die Uraufführung erfolgreich. Nun wurde “Frühlings Erwachen” in viele Sprachen übersetzt und machte Wedekind über Europa hinaus bekannt. Die erste unzensierte Aufführung erfolgte 1924 in Dresden. Heutzutage gehört “Frühlings Erwachen” nicht nur zur Schullektüre, es ist auch fester Bestandteil des Spielplans vom Berliner Ensemble.
Die Zeiten ändern sich, die bürgerliche Moral ist heute nicht mehr so verschlossen und unaufgeklärt wie einst. Doch die erwachende Sexualität der Jugendlichen und die drängenden Fragen, die sie sich stellen, sind heute noch genau so aktuell wie damals. Findest du nicht?
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