Frühlings Erwachen (Wedekind)
Der Untertitel von Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ lautet: „Eine Kindertragödie“. Doch eigentlich sind die Hauptfiguren keine Kinder mehr, sondern Jugendliche, die ihre ersten sexuellen Erfahrungen machen. Doch Ende des 19. Jahrhunderts ist das ganz und gar ein Tabu-Thema!
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Entstehungsgeschichte
Eine Teenager-Schwangerschaft, Probleme in der Schule, ein junger Mann, der Selbstmord begeht – kaum zu glauben, dass das die Themen des Dramas „Frühlings Erwachen“ sind, das vor über 100 Jahren entstanden ist!
Frank Wedekind (1864-1918) arbeitete sechs Monate an dem Stück, bevor er es im Frühjahr 1891 auf eigene Kosten veröffentlichen lässt. Zwanzig Jahre ist es zu diesem Zeitpunkt her, dass das Deutsche Kaiserreich gegründet wurde. Nun ist Kaiser Wilhelm II. seit etwa drei Jahren an der Macht. Zwar kommt es zu einem wirtschaftlichen Aufschwung im Reich, dennoch herrschen noch immer autoritäre Leitbilder in Gesellschaft und Politik vor. Widerspruchsloser Gehorsam ist an der Tagesordnung, der Leistungsdruck in der Schule allgegenwärtig. Die Tabuisierung der Sexualität innerhalb bürgerlicher Moralvorstellungen wird von den meisten Menschen kaum hinterfragt.
Doch Frank Wedekind möchte die etablierten Konventionen der wilhelminischen Epoche nicht hinnehmen und übt mit seinen Theaterstücken scharfe Kritik an den vorherrschenden Zuständen der deutschen Gesellschaft. Hat er doch selbst miterlebt, welche Auswirkungen gesellschaftliche Zwänge haben können: 1885 begeht sein damaliger Mitschüler Moritz Dürr Selbstmord. Das Drama ist also nicht nur vor einem zeitgeschichtlichen, sondern auch vor einem autobiografischen Hintergrund zu betrachten.
Inhaltsangabe
Moritz Dürr ist vermutlich auch der Namensgeber für die Figur Moritz Stiefel. Der 14-jährige Schüler begeht am Ende des 2. Aktes von „Frühlings Erwachen“ Selbstmord. Doch wie kommt es dazu? Moritz und sein 15-jähriger Freund Melchior Gabor interessieren sich mehr für ihre körperlichen Veränderungen als für ihre Hausaufgaben. Da Moritz in dieser Hinsicht jedoch noch sehr unerfahren ist, verspricht ihm der aufgeklärte Melchior eine schriftliche Abhandlung über den Geschlechtsakt.
Auch die 14-jährige Wendla Bergmann ist genau wie Moritz unaufgeklärt. Ihr konservatives Umfeld weicht immer wieder aus, wenn es um das Thema Sexualität geht. Ihre Schwester erzählt ihr zum Beispiel, ihre drei Kinder habe der Storch gebracht. Auch wenn die Erwachsenen es nicht wahrhaben wollen, können sie nicht verhindern, dass die Sexualität ihrer Kinder erwacht. Letztendlich schlafen Melchior und Wendla miteinander - ein folgenreicher Fehler, denn Wendla wird schwanger.
Zur gleichen Zeit hält Moritz dem schulischen Druck nicht mehr Stand. Auch wenn er es bereut, nicht wenigstens einmal mit einer Frau geschlafen zu haben, erschießt er sich. Und wie reagieren die Erwachsenen? Die Lehrer bangen nur um den guten Ruf der Schule. Da kommt Melchiors Abhandlung „Der Beischlaf“, die in Moritz‘ Sachen gefunden wird, sehr gelegen. Melchior muss als Sündenböck für den Selbstmord seines Freundes herhalten und wird in eine Erziehungsanstalt eingewiesen. Nach seiner Flucht landet er nachts auf dem Friedhof und erfährt, dass Wendla an der Folgen der Abtreibung gestorben ist.
Zum Schluss erscheinen Melchior auf dem Friedhof zwei Gestalten: Der kopflose Moritz, der versucht, ihn in das Totenreich zu locken und ein vermummter Mann, der ihm anordnet, sich für das Leben zu entscheiden. Melchior geht schließlich mit dem vermummten Mann mit.
Personenkonstellation
Die drei jugendlichen Hauptpersonen in „Frühlings Erwachen“ sind mit ihren Fragen zum Thema Sexualität auf sich allein gestellt. Die Erwachsenen interessieren sich nicht wirklich dafür, was die Jugendlichen beschäftigt.
Moritz Stiefel ist ein leistungsschwacher Schüler, der mit Minderwertigkeitskomplexen zu kämpfen hat. Er schämt sich für seine sexuellen Gefühle und Fortpflanzungsfragen und findet zum Glück in Melchior Gabor einen engen Vertrauten, der ihm nicht nur in schulischen Angelegenheiten seine Hilfe anbietet.
Melchior ist ein nachdenklicher junger Mann, der auch sehr kritisch ist und kein Blatt vor dem Mund nimmt. Durch Bücher und Beobachtungen hat er sich sein Wissen über Sexualität angeeignet, mit dem er sehr unverkrampft umgeht. In seinen Begegnungen mit Wendla Bergmann zeigt sich jedoch, dass er die Kontrolle verliert, wenn er seinen körperlichen Trieben ausgesetzt wird.
Das selbstbewusste und aufgeweckte Mädchen Wendla Bergmann ist mitten in der Pubertät und möchte eingeweiht werden in die „Geheimnisse“ der Erwachsenen-Welt. Doch die Erwachsenen – wie zum Beispiel Frau Bergmann oder Frau Gabor – sind gefangen in ihren bürgerlichen Moralvorstellungen und haben keinen Zugang zur Gedanken- und Gefühlswelt der Jugendlichen.
Rezeptionsgeschichte
Es überrascht nicht wirklich, dass „Frühlings Erwachen“ nach seinem Erscheinen nicht nur auf Lob und Anerkennung stieß, sondern die Rezeptionen zu Wedekinds Werk völlig unterschiedlich waren. Im Kreuzfeuer der Kritik stand vor allem die Darstellung der Sexualität der Jugendlichen. In der wilhelminischen Gesellschaft wurde die Problematisierung dieses Tabu-Themas als Provokation empfunden. Doch nach anfänglichen Schwierigkeiten gelang 1903 Frank Wedekind mit seinem Stück endgültig der Durchbruch. 1906 wurde Frühlings Erwachsen uraufgeführt. Allerdings waren einige Szenen zensiert. Erst 1924 wurde das Drama das erste Mal unzensiert aufgeführt.
Auch wenn die Moralvorstellungen von damals längst überholt sind, hat das Stück doch bis heute an Aktualität und Brisanz nichts verloren. Mit „Frühlings Erwachsen“ schuf der Dramatiker Frank Wedekind ein zeitloses Drama, das auch heute noch auf den Bühnen der Welt gespielt wird.
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