Gottfried Benn – Leben und Werk
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Grundlagen zum Thema Gottfried Benn – Leben und Werk
Literarische Skandale. Mehrere Ehen. Verschiedene politische Überzeugungen. Schreibverbot. Der Arzt und Dichter Gottfried Benn hatte ein bewegtes Leben, das von Wiedersprüchlichkeiten geprägt war. Erfahre in diesem Video, wie medizinische Sachlichkeit, depressive Weltsicht und sprachliche Kraft die dichterischen Werke von Gottfried Benn prägen. Viel Lernvergnügen!
Transkript Gottfried Benn – Leben und Werk
Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt. Irgendeiner hatte ihm eine dunkelhellila Aster zwischen die Zähne geklemmt. Als ich von der Brust aus unter der Haut mit einem langen Messer Zunge und Gaumen herausschnitt, muß ich sie angestoßen haben, denn sie glitt in das nebenliegende Gehirn. Ich packte sie ihm in die Brusthöhle zwischen die Holzwolle, als man zunähte. Trinke dich satt in deiner Vase! Ruhe sanft, kleine Aster!
Wer schreibt hier? Ein Mörder? Ein Arzt? Das Gedicht “Kleine Aster” erscheint 1912 im Gedichtzyklus “Morgue”. Morgue ist der Name eines Pariser Leichenschauhauses. Gottfried Benn ist vertraut mit den Vorgängen in solchen Örtlichkeiten, denn er selbst arbeitet in Berliner Krankenhäusern. Er ist eigentlich Mediziner - und hat seine Arbeit am Seziertisch zum Gegenstand seiner Dichtung gemacht.
Hast du das Gefühl, diese Erlebnisse nehmen ihn emotional sehr mit? Eher nicht. Die Sprache ist sachlich. Benns Dichtung wirkt routiniert, unterkühlt und gleichgültig gegenüber seinen menschlichen “Sezierobjekten”. Das wurde als empörend und geschmacklos empfunden, als pervers und zynisch.
Schauen wir uns den Menschen, Arzt und Schriftsteller Gottfried Benn näher an! Gottfried Benn wird am 2. Mai 1886 in Mansfeld in Brandenburg geboren als zweites von acht Kindern des Pastors Gustav Benn und der Schweizerin Caroline. In der Prosaschrift Lebensweg eines Intellektualisten und in Gedichten beschreibt Benn seine Kindheit als unbewusst-glückliche Zeit.
Während er zu seiner Mutter ein enges Verhältnis hat, herrscht zwischen ihm und seinem Vater aber Spannung. Aufgrund unterschiedlicher religiöser und politischer Ansichten bleiben sie sich auch später fremd. In der Schule zeigt Benn besonderes Interesse für Latein und Altgriechisch. Diese Vorliebe zeigt sich später in Bezügen seiner Dichtung zur griechischen Antike und ihrer Mythologie und Götterwelt. Nach dem Abitur beginnt Benn auf Wunsch des Vaters ein Theologiestudium. Wegen fehlenden Fleißes wird er aber exmatrikuliert - und beginnt daraufhin ein Medizinstudium an der Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärischärztliche Bildungswesen in Berlin.
Im Oktober 1911 legt er sein medizinisches Staatsexamen und promoviert 1912. Bereits zu dieser Zeit steht Benn in Kontakt mit Dichtern des Expressionismus und veröffentlicht erste literarische Werke. 1912 verstirbt seine Mutter an Krebs. Benn hätte ihr helfen können, denn als Arzt kann er Schmerzmittel verschreiben. Doch der Pfarrer-Vater verbietet das - der Schmerz sei gottgewollt. Daraufhin bricht er den Kontakt zu seinem Vater ab. Im Gedicht Pastorensohn rechnet er mit seinem Vater ab.
Im Sommer 1912 entwickelt sich eine Liebesbeziehung mit der Dichterin Else Lasker-Schüler. Benn veröffentlicht seinen ersten Gedichtband “Morgue und andere Gedichte” - ein Skandalwerk, das ihm frühen Ruhm beschert. Während der Zeit als Assistent in der Pathologie der „Westend-Klinik” in Berlin-Charlottenburg führt er nachweislich 197 Obduktionen durch. In den Sektionsprotokollen entwickelt Benn seinen präzisen Beschreibungsstil. 1914 heiratet er die acht Jahre ältere Schauspielerin Eva Brandt und bekommt ein Jahr später Tochter Nele. Während des Ersten Weltkriegs ist Benn als Militärarzt in Brüssel tätig. Weder Kriegsgegner noch Kriegsbefürworter, steht er den Ereignissen distanziert und pflichtbewusst gegenüber.
Im November 1917 lässt er sich als Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten in Berlin nieder. Neben der Familienwohnung hat Benn über der Praxis eine eigene Wohnung für seine Unabhängigkeit, sein literarisches Schaffen, seine Seitensprünge. Doch Benn ist depressiv, gelangweilt und arbeitsmüde.
Zu einem wichtigen Förderer und Freund wird der jüdische Verleger Erich Reiss, der 1922 erstmals das Werk Gesammelte Schriften Benns herausbringt. Damit endet Benns expressionistische Phase. Im selben Jahr stirbt Eva Brandt. In den 20er Jahren entstehen einige neue Gedichte, dazu kommen aber auch Essays und Prosatexte, die traditioneller und dezenter gehalten sind als frühere Werke.
1927 wird Benn in die Preußische Akademie der Künste aufgenommen, 1928 in den Berliner PEN-Club, eine internationale Schriftstellervereinigung. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verteidigt Benn diese zunächst und verfasst zusammen mit Max von Schillings eine Loyalitätsbekundung für Hitler. Doch seine Publikationen ab 1934 werden verstärkt distanziert und kritisch gegenüber dem NS-Regime, sodass er 1938 ein Schreibverbot erhält.
Von 1935 bis Kriegsende arbeitet Benn als Militärarzt, unter anderem in Hannover. Eindrücke davon geben die Erzählungen Weinhaus Wolf, Doppelleben und der Gedichtzyklus Stadthallen-Elegien.
1945 kehrt er nach Berlin in seine alte Arztpraxis zurück und heiratet bald darauf seine mittlerweile dritte Frau, die Zahnärztin Ilse Kaul. Seine Schriften Der neue Staat und die Intellektuellen und Kunst und Macht werden auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt. Erst ab Herbst 1948 darf Benn wieder in Deutschland veröffentlichen. Allein 1949 erscheinen gleich vier Werke. Mit der Verleihung des ersten Georg-Büchner-Preises 1951 findet seine Karriere ihren vorläufigen Höhepunkt.
1953, zu seinem 67. Geburtstag, wird Benn von Bundespräsident Theodor Heuss das Bundesverdienstkreuz verliehen. Im selben Jahr schließt Benn seine Praxis in Berlin. Von 1956 an leidet er an Knochenkrebs, woran er schließlich kurz nach seinem 70. Geburtstag am 7. Juli 1956 in Berlin stirbt.
Gottfried Benns populäres Gedicht “Nur zwei Dinge” wird vielfach als seine persönliche Lebensbilanz verstanden. Es entstand 1953 mit dem Fazit:
[...] Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere, was alles erblühte, verblich, es gibt nur zwei Dinge: die Leere und das gezeichnete Ich.
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