„Woyzeck“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Büchner)
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Grundlagen zum Thema „Woyzeck“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Büchner)
Das Drama "Woyzeck" von Georg Büchner ist in erster Linie vor dem Hintergrund der Entsozialisierung und der sozialen Determination zu interpretieren. Der Protagonist verliert seine sozialen Bindungen und wird gleichzeitig von gesellschaftlichen Kräften beeinflusst und gesteuert. Die Rezeption des Werkes setzte erst ungewöhnlich spät ein, nämlich nach 1875. Erfahre in diesem Video alles Wissenswerte zur Interpretation und Rezeption!
Transkript „Woyzeck“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Büchner)
Georg Büchner: Woyzeck - Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte
Der wohl wichtigste Interpretationsansatz zu Georg Büchners Drama "Woyzeck" umfasst die Kernbegriffe Entsozialisierung und soziale Bestimmung.
Unter Entsozialisierung versteht man die Entfernung eines Menschen aus seiner Gesellschaft bzw. seinem Umfeld. Der Begriff soziale Bestimmung meint die Überzeugung, dass Menschen durch ihre soziale Umwelt und soziale Hierarchien auf bestimmte Denk- und Verhaltensweisen festgelegt werden. Mit diesen Annahmen setzte sich Büchner zeitlebens auseinander, deshalb versuchen wir das Stück vor diesem Hintergrund zu lesen.
Woyzecks soziale Rolle nimmt in Büchners Werk eine Sonderstellung ein, weil die Darstellung sozial benachteiligter Individuen zu Büchners Zeit eigentlich noch nicht üblich war.
Büchner nimmt damit frühsozialistische Anschauungen vorweg, in denen vor allem Arbeiter als abhängig, unterdrückt und benachteiligt dargestellt wurden. Büchner weist damit aber auch auf die Literatur des Naturalismus und Realismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts voraus - in diesen Literaturepochen kam die Darstellung von Problemfiguren unter negativen gesellschaftlichen Umständen öfter vor.
Woyzecks Entsozialisierung besteht darin, dass seine einzigen sozialen bzw. emotionalen Bindungen zu Bruch gehen. Marie, seine Geliebte und Gefährtin, lässt sich mit einem anderen Mann ein, weil dieser sie mit Geschenken lockt. Marie begeht damit einen unerhörten Vertrauensbruch und stürzt Franz Woyzeck damit in die gesellschaftliche Isolation. Damit gerät zugleich die Beziehung zu seinem Sohn Christian in Gefahr.
Auch der Hauptmann, der Woyzeck als Vorgesetzter demütigt und ausnutzt, kommt als gelungener sozialer Kontakt nicht infrage. Gleiches gilt für den Doktor, der Woyzeck für menschenverachtende medizinische Experimente missbraucht. Nicht einmal sein Kamerad Andres kann Woyzecks Not in vollem Umfange verstehen und die bestehende Gefahr richtig einordnen.
Am Ende ist Woyzeck vollständig von der Gesellschaft isoliert. Die Stimmen, die er hört, fordern ihn zum Mord auf. Man kann diese psychische Erkrankung des Protagonisten bei Büchner als Symptom einer gesellschaftlichen Entfremdung verstehen. Der Mord an seiner Freundin ist dann der Höhepunkt der Entsozialisierung.
Woyzeck lebt einerseits in einem privaten Lebensbereich, der aus seiner Lebensgefährtin und seinem Kind besteht. Andererseits lebt er ein gesellschaftliches Leben als Soldat, der auf Vorgesetzte angewiesen ist. Die Vermischung dieser beiden Sphären erweist sich als verhängnisvoll.
Marie geht mit dem Tambourmajor fremd. Der Tambourmajor aus der höheren gesellschaftlichen Ebene bricht in das Privatleben Maries und Woyzecks ein und zerstört es. Dadurch verliert Woyzeck sein ohnehin nur mühsam aufrechterhaltenes Gleichgewicht. Wenn der Hauptmann ihn dann auch demütigt und der Doktor ihn ausbeutet, wird die soziale Bestimmung vollem Umfang deutlich.
Durch Woyzecks sozial bedingte Benachteiligung und Armut kann er seiner Freundin keine schönen Geschenke bieten. Das soziale Umfeld ist aber materialistisch eingestellt. Auch Marie ist davor nicht geschützt. Sie lässt sich vom Glanz und Besitz des Tambourmajors anlocken.
Die Rezeption des Stückes begann in der literarischen Epoche des Naturalismus um 1875 - 38 Jahre nach Georg Büchners Tod. Vor allem der österreichische Schriftsteller Karl Emil Franzos, der Woyzeck erstmalig veröffentlichen ließ, sorgte für eine Verbreitung des Werkes.
Um 1920 erfuhr die Rezeptionsgeschichte des Dramas einen ersten Höhepunkt. Alban Berg komponierte 1925 die Oper "Wozzek" auf der Basis des Stücks.
Bertold Brecht betrachtete Woyzeck als eines der besten Werke deutscher Literatur.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzt ein erneuter Schub in der Wahrnehmung von "Woyzeck" ein. Neuere Forschungen und Massenmedien beteiligten sich daran. Der Georg-Büchner-Preis wird seit 1923 verliehen und erhielt 1951 eine neue Qualität. Er gilt seither als höchste deutsche Auszeichnung im Bereich Literatur.
In dem Stück Büchners lässt sich eine aus drei Schritten bestehende Entwicklung zum Mörder durch Entsozialisierung dingfest machen: Woyzeck verliert seine privaten Beziehungen zu Freundin und Sohn durch den Einbruch des Tambourmajors.
Auch gesellschaftlich ist er isoliert, denn sein Vorgesetzter Hauptmann, demütigt ihn. Der Arzt, der eigentlich heilen sollte, missbraucht ihn für seine Experimente. Diese gesellschaftlichen Rahmenbedingungen machen aus Woyzeck ein ausgebeutetes, erniedrigtes Subjekt und schließlich einen Mörder.
„Woyzeck“ – Interpretationsansatz und Rezeptionsgeschichte (Büchner) Übung
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Beschreibe, inwiefern Büchner Inhalte späterer Literaturepochen vorwegnahm.
TippsDer Interpretationsansatz des Videos bezieht sich besonders auf zwei Aspekte, die das Verhältnis zwischen Woyzeck und den gesellschaftlichen Umständen beschreiben. Erinnerst du dich an sie?
Lösung- Die Zeit des Vormärz war von den Ideen der Französischen Revolution beeinflusst. Nachdem der Wiener Kongress die Hoffnungen vieler Menschen auf eine neue gesellschaftliche Ordnung zunichte gemacht hatte, reagierten vor allem die Studierenden mit Protest und den Forderungen nach mehr Mitbestimmungsrechten.
- Parallel dazu gab es auch im gesellschaftlichen Bereich ein Umdenken. Man wurde sich immer häufiger der nach wie vor bestehenden Abhängigkeiten von der Obrigkeit bewusst, die als nicht mehr zeitgemäß angesehen wurden. Zudem bekam man einen Blick für individuellen Lebensbedingungen und stellte fest, dass viele Menschen in Armut und Unterdrückung lebten.
- Büchner nutzte seine Talente, um mehr Menschen auf die gesellschaftliche Situation aufmerksam zu machen, indem er Abhängigkeiten zwischen Individuen und der Gesellschaft darstellte (soziale Bestimmung) und Prozesse der Entfremdung von Gesellschaft (Entsozialisierung). Damit nahm er Themen des Realismus und Naturalismus vorweg: die Darstellung von Hässlichkeit und Armut, des Menschen als Teil eines sozialen Umfelds oder der negativen Seiten des Lebens.
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Erläutere den Interpretationsansatz, der die Aspekte der Entsozialisierung und sozialen Bestimmung im Werk untersucht.
TippsWoyzeck ist ein Mensch, der gerne Mitglied der Gesellschaft sein möchte. Dafür ist es wichtig, dass es ihm gelingt, seine Familie zu behalten. Hier passiert ihm aber schon das größte Unglück. Welchen Begriff findet man in der hier angewandten Interpretationsmethode, die sich mit seiner sozialen Bindung beschäftigt?
LösungDie beiden Eckpfeiler der hier angewandten Methode sind Entsozialisierung einerseits und soziale Bestimmung andererseits.
- Unter Entsozialisierung versteht man, dass der Mensch aus seiner sozialen Umwelt entfernt wird, genauer heißt das, dass er oder sie keinen Halt mehr in der Familie oder anderen sozialen Gruppen findet, dass diese Gemeinschaft praktisch nicht mehr besteht. Er oder sie ist ein Einzelwesen, das keine Bindung mehr besitzt. Diese Situation entsteht, wenn - wie im Falle Woyzeck - der Mensch aus irgendwelchen Gründen den Ansprüchen der Familie nicht genügen kann; Franz kann für Marie nicht genug Geld, Sicherheit und Ansehen erreichen, sodass seine Geliebte sich einem anderen Mann zuwendet; von ihm hofft sie, dass er ihr ein besseres Leben bieten kann.
- Mit der sozialen Bestimmung meint man, dass die Menschen von ihrer sozialen Umwelt auf ein bestimmtes Verhalten festgelegt werden: Woyzeck ist arm und im sozialen Bereich auf der untersten Stufe angesiedelt. Infolgedessen hat er auch nur ganz bestimmte Möglichkeiten, sich zu verhalten. Alles, was er außerhalb der Verhaltensmuster, die die Gesellschaft ihm zugestehen, unternimmt, ist zum Scheitern verurteilt.
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Beschreibe die verschiedenen Phasen der Rezeptionsgeschichte von „Woyzeck“.
TippsTypische Merkmale realistischer und naturalistischer Kunst waren die Darstellung von Hässlichkeit und Armut, des Menschen als Teil eines sozialen Umfelds oder der negativen Seiten des Lebens.
LösungErst lange Zeit nach Büchners Tod wird sein Drama „Woyzeck“ endlich auch in deutschen Theatern aufgeführt.
- Mit Karl Emil Franzos interessiert sich ein österreichischer Schriftsteller für Büchners Werk und macht sich die Mühe, die Handschriften des Autors zu entziffern.
- In der Zeit des Naturalismus wurde Büchner auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Davor wurden nur Szenen in Zeitschriften veröffentlicht, aber nicht mit durchschlagendem Erfolg.
- Im Jahr 1920 kann man einen ersten Höhepunkt in der Rezeption des Woyzeck ausmachen. Kurze Zeit später begeistert Alban Berg der Stoff so sehr, dass er eine Oper komponiert, die er aber noch mit dem alten Titel Wozzeck versieht. Das geteilte Echo schmälert den Ruhm des Werkes nicht. Es wird auch heute immer wieder aufgeführt.
- Auch Bertolt Brecht ist vom „Woyzeck“ so begeistert, dass er euphorisch behauptet, dass Werk sei vollkommen.
- Nach dem Zweiten Weltkrieg wird Büchners Werk - häufig allerdings modernisiert - wieder auf zahlreiche Bühnen gebracht. Es ist bis in die Gegenwart ein sehr beliebtes Opus. Auch die Medien zeigen Interesse an dem Stoff, sodass bereits 1947 ein Film entsteht, später gibt es auch eine TV-Verfilmung.
- Seit 1923 wird ein sehr begehrter Preis verliehen, der zunächst vom freien Staat Hessen gespendet wird. In der Nazizeit gibt es allerdings keine Auszeichnungen dieser Art. 1951 geht der Preis in die Regie der Akademie für Sprache und Literatur über und zählt bis heute zu den begehrtesten Preisen für Schriftsteller/-innen, Sänger/-innen und Komponist/-innen.
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Ermittle Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zwischen Handlungselementen in Büchners Drama „Woyzeck“.
TippsIm Drama kann man Marie und den Tambourmajor als die Verursachenden der Katastrophe ansehen. Wäre Marie nicht in der Situation, in der sie sich befindet, wäre sie vermutlich nicht an fremden Männern interessiert. Den Tambourmajor trifft eine große, vielleicht sogar eine größere Schuld als sie.
Achte darauf, dass die Ursache auf der linken Seite eindeutig Auslöser für die Wirkung auf der rechten Seite ist. Die Beziehungen sind auch chronologisch aneinander geknüpft. Das heißt, das die Armut von Woyzeck zum Beispiel für das tragische Ende verantwortlich sein kann, dass es letztlich jedoch einen konkreten Auslöser gibt, warum er Marie tötet.
LösungDie Mächtigen und die Machtlosen treffen in einer unheilvollen Beziehung aufeinander:
- Marie, Christian und Franz könnten ein glückliches, von der Kirche gesegnetes Leben führen, wenn sie nicht für die Heirat bezahlen müssten. Damit wäre die Kritik des Hauptmanns hinfällig und Franz bräuchte sich nicht zu wehren.
- Wenn Marie ihr Leben nicht in so ärmlichen Verhältnissen fristen müsste, wäre sie nicht auf der Suche nach einem Mann, der ihr mehr Wohlstand bieten könnte und bräuchte sich nicht dem Tambourmajor zuzuwenden, der ihr Geschenke macht. Sie durchschaut auch nicht, dass ihr dieser Mann den Aufstieg auf gar keinen Fall verschaffen wird. Die Geschenke haben aber auf der Seite ihres Partners verheerende Folgen.
- Wenn Franz nicht infolge seiner sozialen Zugehörigkeit in festen Denkmustern gefangen wäre, würde er sich nicht auf einen Zweikampf mit dem Liebhaber von Marie einlassen, sondern versuchen, einen anderen Weg zur Problemlösung zu finden. Der Rest an Ehre würde ihm nicht genommen.
- Da eine intakte Familie zu Woyzecks Zeiten eine unabdingbare Voraussetzung für soziale Akzeptanz ist, bleibt ihm nur der Ausweg, das Übel zu beseitigen, d. h. Marie für den ungeheuren Vertrauensbruch umzubringen.
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Bestimme den Grund für Woyzecks psychische Erkrankung.
TippsEs gibt inzwischen die unterschiedlichsten Theorien über die Prägung eines Menschen. Zu Büchners Zeit war es neu, Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in die Beurteilung psychischer Erkrankungen einzubeziehen.
LösungFür die Zeit Büchners ist es ein absolutes Novum, die sozialen Verhältnisse und ihre Bedeutung für den einzelnen Menschen unter die Lupe zu nehmen. Man hatte sich noch nicht viele Gedanken darüber gemacht, warum sich eine Person so verhält, wie sie sich verhält. Die historische Vorlage Büchners warf die Frage auf, ob ein/-e Mörder/-in verantwortlich sein kann, also mit Absicht gehandelt habe. Die Alternative, die zur Verfügung stand, war eine Krankheit als Auslöser für gestörtes Verhalten.
Büchner kam auf den Gedanken, dass es die Umgebung sein könnte, also die sozialen Kontakte und ihre Verhaltensweisen gegenüber einer Person, die zu ihrer Prägung beitragen. Mit dieser Idee, die spätestens von Marx und Engels ins politische Leben Deutschlands gebracht wurde, war Büchner seiner Zeit weit voraus. Woyzecks Verhalten wird als Symptom gesellschaftlicher Entfremdung gesehen.
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Charakterisiere Woyzecks Geliebte Marie.
TippsMarie lebt in ärmlichen Verhältnissen und ist gleichzeitig sehr lebensfroh und auf Äußerlichkeiten fixiert.
Marie ist nicht nur Mutter, sondern auch die Partnerin von Franz. Wie zeigt sie ihr Verhältnis zu ihm? Welche Schlüsse kann man daraus ziehen?
LösungIn der vorliegenden Szene kann man an einigen wenigen Handlungen und Verhaltensweisen den Charakter Maries erkennen.
- Marie ist jung, hat ein uneheliches Kind und ist mit einem armen Soldaten liiert. Noch hat sie Träume und Erwartungen an ihr Leben. Sich mit dem derzeitigen Schicksal zufrieden zu geben, liegt nicht in ihrer Natur. Sie ist eher leichtlebig und passt insofern überhaupt nicht zu Woyzeck, der verantwortungsbewusst bis zur Selbstaufgabe ist. Das Kind versorgt Marie eher schlecht als recht, hier ist von Fürsorge oder Zuwendung und Aufmerksamkeit nicht viel zu merken; Franz entspricht eher dem fürsorglichen Vater.
- Marie schreckt nicht davor zurück, ihren Partner anzulügen und ist nicht beunruhigt, wenn er ihr sagt, dass er ihr nicht glaube. Sie freut sich an den Geschenken eines potentiellen Liebhabers, weil sie auf ihr Äußeres achtet und sich gerne schmückt.
- Von Franz erwartet sie wie selbstverständlich, dass er ihr seinen Sold und alles, was er heranschaffen kann, abgibt; sie honoriert das mit einem einfachen Gott vergelt's. Keine Aufmunterung, Würdigung oder ein liebes Wort kommen über ihre Lippen.
- Ganz am Schluss dieses Bildes blitzt einmal kurz durch, dass sie sich ihres schlechten Verhaltens eigentlich bewusst ist; aber dieses schlechte Gewissen ist nur wenige Sekunden präsent.
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