Beginn des Ersten Weltkriegs – Kriegsbegeisterung?
*Kriegsbegeisterung im ersten Weltkrieg: Das Augusterlebnis wird oft als Moment der nationalen Einheit beschrieben. Aber wie sah die Stimmung in der gesamten Bevölkerung aus? Entdecke die differenzierten Meinungen und die Auswirkungen der Propaganda. Mehr dazu im Text!
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Lerntext zum Thema Beginn des Ersten Weltkriegs – Kriegsbegeisterung?
Das „Augusterlebnis“ – ein Volk im Taumel der Kriegsbegeisterung?
Wer schon einmal einen Film oder eine Serie gesehen hat, der bzw. die zur Zeit des Ersten Weltkriegs spielt, kennt die Bilder: Enthusiastische junge Soldaten haben sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet und steigen voller Begeisterung in den Zug zur Front, während ihre Familien und ihre Verlobten Fähnchen schwenken und ihnen lächelnd nachwinken. Zeitgenössische Fotos zeigen ähnliche Szenen und so entsteht das Bild einer deutschen Bevölkerung, die den Kriegsausbruch unkritisch und siegesgewiss feierte, voll von emotionalem Überschwang und Hurra-Patriotismus.
Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom „Augusterlebnis“, das die gesamte Bevölkerung nach der Kriegserklärung Deutschlands an Russland am 1. August 1914 vereint haben soll. Während des nationalsozialistischen Dritten Reichs wurde dieser „volkseinigende Geist von 1914“ besonders gerne beschworen und als Vorbild hingestellt. Aber auch in der späteren Geschichtsforschung und der allgemeinen Vorstellung hielt sich lange das Bild von den jubelnden, leicht zu beeinflussenden und realitätsfernen Menschenmassen zu Beginn des Ersten Weltkriegs.
Aber wie groß war die Kriegsbegeisterung innerhalb der deutschen Bevölkerung wirklich? Wie viel davon war einer geschickten Kriegspropaganda zu verdanken? Was veranlasste die Menschen, den Krieg mitzutragen oder gar zu unterstützen? Und wie stand die Gesellschaft als Ganzes zum Krieg?
Differenzierung innerhalb der Bevölkerung
Die Bildquellen scheinen auf den ersten Blick eine eindeutige Sprache zu sprechen. Aber sie zeigen nur einen Ausschnitt der Situation.
Kriegsbegeisterte Soldaten |
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So dachten die verschiedenen Bevölkerungsschichten im Einzelnen über den Krieg:
- Der wesentliche Träger der Kriegsbegeisterung war das Bildungsbürgertum, vor allem in den großen Städten, also eine Bevölkerungsgruppe mit einem nur geringen Anteil an der Gesamtbevölkerung. Diese Schicht war geprägt durch die Ideen des Nationalismus des 19. Jahrhunderts und sah im neuen Konflikt Parallelen zu den Befreiungskriegen gegen Napoleon. Schüler und Studenten, Akademiker, Künstler und Intellektuelle wurden in großer Zahl von der Begeisterung mitgerissen. Über eine Million junge Männer meldeten sich freiwillig zum Dienst als Soldaten. Bedeutende Schriftsteller wie Thomas Mann, Hermann Hesse und Ernst Jünger feierten den Kriegsausbruch in ihren Werken.
- Demgegenüber gab es in anderen Bevölkerungsteilen große Skepsis gegenüber dem Krieg. Besonders die Landbevölkerung machte sich Sorgen um die anstehende Ernte. Aber auch die Arbeiter, deren Bewegung sich und ihre Ziele als international betrachtete, standen dem Krieg eher kritisch gegenüber. Noch im Monat Juli organisierte die SPD zahlreiche Anti-Kriegs-Demonstrationen, an denen Zehntausende teilnahmen, trotz Verbots durch die Regierung. Auch einzelne Intellektuelle, wie Heinrich Mann, Gerhard Hauptmann und Karl Kraus, stellten sich gegen den Krieg. Die Menschen in den Grenzgebieten reagierten auf die Kriegserklärung nicht mit Begeisterung, sondern mit Angst und Fluchtwellen.
- Auch sonst war die Lage in der Bevölkerung eher zwiespältig und von extremen Gefühlsumschwüngen geprägt. Hamsterkäufe und ein Ansturm auf die Banken weisen auf aufkommende Panikgefühle hin. Ein Mangel an leicht verfügbaren Informationen sorgte für Unruhe auf den Straßen und starke Anspannung. Zusammenfassend kann man eher von einer Kriegsbereitschaft als von einer Kriegsbegeisterung sprechen: Die Menschen waren entschlossen, mit der Situation fertig zu werden, aber nicht unbedingt glücklich darüber.
Die Rolle der Kriegspropaganda
Dass die Bilder von 1914 oft nur eine Seite zeigen, war dabei durchaus gewollt und entsprach der medialen Inszenierung des Kriegs durch die Regierung. Die Presse wurde zensiert; große Kundgebungen für den Krieg erschienen in allen Zeitungen, Bilder von den Gegendemonstrationen dagegen nicht. Die andere Seite findet man vor allem in privaten Zeugnissen, wie Briefen von Soldaten, Tagebüchern oder Reiseberichten aus dieser Zeit, in denen die Menschen offen über ihre Gefühle von Angst und Sorge sprachen. Selbst die SPD, die anfangs in ihren Zeitungen noch ein Gegengewicht gesetzt hatte, schloss sich der Darstellung von der massenhaften Kriegsbegeisterung an, um ihre Unterstützung des Kriegs im sogenannten „Burgfrieden“ zu rechtfertigen. Trotzdem hing den Sozialdemokraten lange der Verdacht an, durch ihren Widerstand gegen den Krieg das Vaterland verraten zu haben – ein Vorwurf, der später den Nährboden für die sogenannte „Dolchstoßlegende“ bilden sollte.
Beispiel von Kriegspropaganda |
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Gründe für die Begeisterung – Mythos vs. Realität
Um die Bevölkerung für den Krieg zu begeistern oder zumindest von dessen Notwendigkeit zu überzeugen, wandte die Regierung mehrere Argumentationsmuster an, die seit Langem vor allem durch nationalistische und militaristische Gruppen verbreitet worden waren, aber nicht der Realität entsprachen:
Mythos | Realität |
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Deutschland führt einen gerechten Verteidigungskrieg gegen eine Bedrohung von außen. Die Vaterlandsverteidigung ist die Pflicht jedes Bürgers. | Deutschland und Österreich waren hauptverantwortlich am Ausbruch des Kriegs beteiligt. Die befürchtete „Einkreisung“ durch andere Mächte war selbst verschuldet durch ihre Rüstungspolitik. |
Die deutsche militärische Überlegenheit wird zu einem schnellen Sieg führen, so wie 1870/71 gegen Frankreich. | Die Waffentechnologie hatte sich seither stark weiterentwickelt. Auch das Militär konnte die Situation nicht wirklich einschätzen. |
Der Krieg wurde als Chance zur nationalen Einigung gesehen und ein starkes Wir-Gefühl beschworen, bei dem es „keine Parteien mehr, nur Deutsche“ ${^1}$ geben sollte. Gerade die Intellektuellen hofften auf eine Erneuerung durch den Konflikt. | Dem standen das Grauen des Stellungskriegs mit Millionen von Toten und der komplette Zusammenbruch der Weltordnung durch den Krieg gegenüner, der die Grundlage für die weiteren Konflikte des 20. Jahrhunderts legen sollte. |
In den ersten Wochen des Kriegs, als Deutschland zahlreiche militärische Erfolge feierte, schienen sich die falschen Annahmen zunächst zu bestätigen und die Kriegsbegeisterung stieg noch einmal an. Jedoch folgte im Lauf des Ersten Weltkriegs zunehmend die grausame Ernüchterung.
Kriegsbegeisterung? – Zusammenfassung
- Das oft zitierte „Augusterlebnis“, also die allgemeine Begeisterung der Bevölkerung anlässlich des Kriegsbeginn im August 1914, spiegelt nur einen Ausschnitt der Realität wider.
- Während innerhalb des städtischen Bildungsbürgertums die Unterstützung für die Kriegserklärung groß war, standen andere Bevölkerungsschichten dem Krieg kritischer gegenüber. Generell war die Atmosphäre eher von Angst und Unruhe geprägt.
- Die Medien der damaligen Zeit sind keine akkurate Abbildung der Realität, sondern waren in ihrer Berichterstattung geprägt durch eine teils einseitige Propaganda, mit deren Hilfe die Regierung ihr Vorgehen rechtfertigte.
- Bestimmte Vorstellungen waren in der Bevölkerung gezielt verbreitet worden, so etwa die Idee vom notwendigen Verteidigungskrieg, vom zu erwartenden schnellen Sieg und von der einigenden Wirkung des gemeinsamen Kampfs.
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