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„Euthanasie“ – die Morde der Nationalsozialisten an kranken und beeinträchtigten Menschen

Die Bedeutung von Euthanasie im Nationalsozialismus: Die Nationalsozialisten missbrauchten den Begriff für die systematische Tötung von Menschen mit Behinderungen. Erfahre mehr über die grausame Geschichte und die ideologischen Hintergründe. Willst du mehr wissen? Lies weiter!

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Lerntext zum Thema „Euthanasie“ – die Morde der Nationalsozialisten an kranken und beeinträchtigten Menschen

„Euthanasie“ unter den Nationalsozialisten – Einführung

Wenn heute ein öffentliches Gebäude errichtet wird, ist eine Rollstuhlrampe Teil der Planung. Öffentliche Dokumente müssen blinden und sehbehinderten Menschen zugänglich gemacht werden. Gebärdendolmetscher helfen Menschen mit eingeschränktem Gehör. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es zahlreiche Gesetze, die Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen eine gleichberechtigte Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglichen sollen, denn der Artikel 3 des Grundgesetzes besagt, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. In einer zivilisierten Gesellschaft ist es selbstverständlich, sich um alte, kranke und beeinträchtigte Menschen zu kümmern und sie in die Gesellschaft einzuschließen.

Im Rahmen der menschenverachtenden NS-Ideologie war das anders. Zu den zahlreichen Opfern des Nationalsozialismus gehörten auch alte und kranke Menschen und Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen. In der zynischen Weltsicht, die der Nationalsozialismus propagierte, waren diese Menschen eine Gefahr für die „Erbgesundheit“ des Volks, das zu einer überlegenen nordischen „Herrenrasse“ geformt werden sollte. Nebenbei spielten auch wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle: Um Geld und Pflegekapazitäten zu sparen, wurden Hunderttausende Menschen ermordet. Die Nationalsozialisten verwendeten für diese Tötungen verharmlosend den Begriff „Euthanasie“.

Der Begriff Euthanasie (griech. schöner Tod) wurde ursprünglich neutral für einen schmerzfreien Tod verwendet und in diesem Zusammenhang auch im Kontext der Sterbehilfe für unheilbar Kranke angewendet. In dieser Bedeutung ist er auch heute noch in vielen Sprachen gebräuchlich. Die zynische Verwendung im Nationalsozialismus hat damit nichts zu tun und stellt einen Sprachmissbrauch dar. Alternative Begriffe, die sich nicht das nationalsozialistische Vokabular zu eigen machen, sind zum Beispiel Krankenmord oder Massentötungen an Menschen mit Behinderungen.

Ideologische Hintergründe – Sozialdarwinismus und Rassenhygiene

Das Vorgehen der Nationalsozialisten gegen Menschen mit Beeinträchtigungen hatte seine ideologische Grundlage in den Ideen des Sozialdarwinismus. In diesem Ansatz wurde Darwins Konzept der natürlichen biologischen Auslese fälschlich auf menschliche Gesellschaften übertragen.

Sozialdarwinismus?

Der Naturforscher Francis Galton führte diese Ideen weiter und prägte 1883 den Begriff der Eugenik, der Lehre vom „guten“ und „schlechten“ Erbmaterial. Daraus entwickelte sich das Bestreben, erwünschte Erbanlagen zu fördern und unerwünschte auszulöschen. In der Praxis führten diese Ideen in manchen Ländern zu Zwangssterilisationen und Eheverboten für Menschen mit Behinderungen.

In Deutschland prägten Ärzte wie Alfred Ploetz und Wilhelm Schallmeyer den Begriff der „Rassenhygiene“. Sie gingen davon aus, dass in zivilisierten Gesellschaften die natürliche Auslese nicht mehr funktionierte, und befürchteten darum eine „Degeneration“ der Erbanlagen, die durch menschliches Eingreifen verhindert werden musste. Ploetz gründete zur Durchsetzung seiner Ideen die „Gesellschaft für Rassenhygiene“. Auch Hitler griff in „Mein Kampf“ eugenische Ideen wie das Recht des Stärkeren und den Konflikt zwischen verschiedenen menschlichen „Rassen“ auf.

Umsetzung im Nationalsozialismus

Deutschland war nicht das einzige Land, in dem zu diesem Zeitpunkt eugenisches Gedankengut verbreitet war. Doch erst nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wurden diese Ideen auf erschreckend radikale und menschenverachtende Weise in die Praxis umgesetzt. Die nationalsozialistische Politik hatte dabei zwei Seiten:

  • Man versuchte, die Vermehrung des als „gut“ erachteten Genmaterials durch eine gezielte Familienpolitik zu fördern. Dazu gehörten Maßnahmen wie das Verbot von Verhütung und Abtreibung, finanzielle Förderung der Familiengründung und soziale Anreize wie das „Mutterkreuz“. Um festzustellen, wer zu dieser erwünschten Gruppe gehörte, mussten Paare ab 1935 vor der Eheschließung ein „Ehegesundheitszeugnis“ vorlegen.
  • Gleichzeitig wurde mit allen Mitteln versucht, Menschen mit Krankheiten und Beeinträchtigungen an der Fortpflanzung zu hindern oder sie im schlimmsten Fall direkt zu töten. Sie galten als „lebensunwert“ und als Belastung für die gesunden Menschen. Um sie zu beseitigen, wurden entsprechende gesetzliche Grundlagen geschaffen.

Zwangssterilisationen

Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 erlaubte es, Menschen mit Beeinträchtigungen gegen ihren Willen zu sterilisieren, also unfruchtbar zu machen. Ärzte mussten mögliche Fälle an die Behörden melden, woraufhin sogenannte „Erbgesundheitsgerichte“ über das Schicksal der Menschen entschieden. Im Rahmen dieser Gesetzgebung wurden bis 1939 etwa 400 000 Menschen, vor allem Insassen von Anstalten, zwangssterilisiert oder zu Abtreibungen gezwungen. Dabei kam es zu mindestens 5 000 Todesfällen durch Komplikationen oder Selbstmord.

Ab dem 18. Oktober 1933 wurden auf der Grundlage des „Gesetzes zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes“ Eheschließungen zwischen gesunden Menschen und Menschen mit Beeinträchtigungen verboten.

Die nationalsozialistische Definition von „Erbkrankheiten“ war extrem weit gefasst und schloss jegliche körperliche, sensorische, psychische und geistige Beeinträchtigung ein, darunter auch solche, die nicht wirklich erblich waren. So traf die Gesetzgebung zum Beispiel blinde und hörgeschädigte Menschen, aber auch Alkoholiker, Menschen mit bipolarer Störung, Epilepsie oder Altersdemenz und selbst ehemalige Soldaten mit Kriegstraumata. Die Übergänge zu rassistischen und antisemitischen Motiven waren fließend – jeder Mensch, der als nicht „nützlich“ wahrgenommen wurde, war bedroht.

Die sogenannte „Kinder-Euthanasie“

Ab dem 18. August 1939 mussten Hebammen auf Befehl von Hitler hin neugeborene Kinder mit Beeinträchtigungen an die Behörden melden. Säuglinge und Kleinkinder wurden in sogenannte „Kinderfachabteilungen“ gebracht, wo sie durch Nahrungsentzug oder die Gabe von Betäubungsmitteln ermordet wurden. In einigen Fällen wurden an den Kindern zunächst noch medizinische Versuche durchgeführt. So wurden zum Beispiel Impfstoffe getestet und die Kinder dafür gezielt mit Krankheiten wie Malaria oder Tuberkulose infiziert. Den Eltern wurden falsche Todesursachen mitgeteilt. Man schätzt die Zahl der Opfer dieser Aktion auf mindestens 5 000.

Morde im Rahmen der „Aktion T4“

Im September 1939 erteilte Hitler per Brief den beiden Ärzten Philipp Bouhler und Karl Brandt den sogenannten „Euthanasiebefehl“. Sie wurden beauftragt, den zynisch so bezeichneten „Gnadentod“ für unheilbar Kranke und Menschen mit Beeinträchtigungen zu organisieren. Die „Aktion T4“ hieß so, weil sie in der Zentraldienststelle in der Tiergartenstraße 4 in Berlin geplant wurde. Ärzte und Krankenhauspersonal mussten betroffene Menschen per Meldebogen anzeigen. Zu den „unheilbar Kranken“ wurden dabei praktisch alle Langzeitpatienten gezählt, deren Krankheit nicht behandelbar war – unabhängig davon, ob sie unter Schmerzen litten oder ob ihre Krankheit tödlich war.

Dokument zur Aktion T4
Erlass zur Euthanasie vom 1. September 1939

In sechs Tötungsanstalten (Grafeneck, Brandenburg an der Havel, Hartheim, Pirna Sonnenstein, Bernburg, Hadamar) wurden bis 1941 ungefähr 70 000 Menschen durch Gaskammern oder Injektion ermordet. Im Rahmen dieser Morde testeten die Nationalsozialisten verschiedene Tötungsmethoden, die später auch in den Vernichtungslagern im Rahmen des Holocaust angewendet wurden. Nach massiven Protesten durch Angehörige und Kirchenvertreter wie den Bischof von Münster, Clemens Graf von Galen, wurde die „Aktion T4“ offiziell eingestellt. Dies bedeutete allerdings kein Ende der Tötungen.

„Wilde Euthanasie“

Auch nach der Schließung der Tötungsanstalten wurden Menschen in Heil- und Pflegeanstalten weiter ermordet. Mindestens 100 000 Menschen starben durch Vernachlässigung, die Gabe von Betäubungsmitteln oder Nahrungsentzug. Man bezeichnet dieses Vorgehen als „wilde Euthanasie“ oder „dezentrale Euthanasie“. In den Konzentrationslagern wurden im Rahmen der „Sonderbehandlung 14f13“ kranke Häftlinge gezielt getötet.

Man geht von insgesamt etwa 200 000 Todesopfern im Rahmen der nationalsozialistischen „Euthanasieprogramme“ aus. In der folgenden Tabelle sind die geschätzten Opferzahlen für die einzelnen Aktionen zusammengefasst.${^1}$

„Euthanasie“-Programme im Nationalsozialismus Geschätzte Opferzahlen
zwangssterilisierte Menschen 400 000
Opfer der „Kinder-Euthanasie“ 5 000
Opfer der „Aktion T4“ 70 000
Opfer der „dezentralen Euthanasie“ 100 000
Opfer der „Sonderbehandlung 14f13“ 20 000
Gesamtzahl der Todesopfer 200 000

Reaktionen innerhalb der Bevölkerung

Man kann davon ausgehen, dass die nationalsozialistischen Programme zur Zwangssterilisierung gerade in der Ärzteschaft weitgehende Unterstützung fanden, da viele Ärzte eugenischem Gedankengut positiv gegenüberstanden. Auch in der weiteren Bevölkerung sollte dieses Denken mithilfe groß angelegter Propagandakampagnen verbreitet werden. „Rassenkunde“ und Vererbungslehre wurden in den Schulen als reguläre Fächer gelehrt und auch in Filmen und Zeitschriften wurde darauf hingearbeitet, dass die Menschen solche Maßnahmen als notwendig akzeptierten.

Die Krankenmorde wurden im Gegensatz dazu weitgehend heimlich durchgeführt und über Tarngesellschaften abgewickelt. Das Verschwinden der Opfer führte zu Misstrauen und Widerstand bei den Angehörigen der Opfer und teils auch beim Pflegepersonal. Vor allem die Kirchen wendeten sich gegen die Ermordung von Menschen mit Beeinträchtigungen und unheilbar Kranken. Sie konnten jedoch nur bedingt eine Besserung der Lage erreichen. Das gesamte entsetzliche Ausmaß der Tötungen war vermutlich nur relativ wenigen Menschen bewusst.

Die Morde der Nationalsozialisten an kranken und beeinträchtigten Menschen – Zusammenfassung

  • Während der NS-Zeit wurden im Namen der sogenannten „Erbgesundheit“ und aus wirtschaftlichen Gründen Hunderttausende von Menschen mit Beeinträchtigungen ermordet oder zwangssterilisiert. Man verwendete dafür beschönigend den Begriff „Euthanasie“.
  • Die ideologische Grundlage der Morde war das Gedankengut des Sozialdarwinismus beziehungsweise der Eugenik oder Rassenhygiene. Man versuchte, „gute Gene“ zu erhalten und „schlechte Gene“ auszurotten.
  • Die praktische Umsetzung des eugenischen Gedankenguts im Nationalsozialismus war gesetzlich legitimiert und wurde planmäßig durchgeführt. Die Maßnahmen reichten von Zwangssterilisation und Eheverboten bis hin zur massenhaften Ermordung von Menschen mit Beeinträchtigungen.
  • Die Mordaktionen der Nationalsozialisten trafen sowohl neugeborene Kinder als auch unheilbar Kranke und Menschen mit Beeinträchtigungen, vor allem in Heil- und Pflegeanstalten. Insgesamt fielen ihr mindestens 200 000 Menschen zum Opfer.
Quellenangabe zu den Opferzahlen
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