Das Dreiklassenwahlrecht war ein ungleiches Wahlsystem im Königreich Preußen, das von 1848 bis 1918 galt. Es gewichtete Stimmen nach Besitz und Einkommen. Interessiert? Erfahre mehr über die Auswirkungen und die historische Bedeutung in diesem Text!
Jede Stimme eines Wahlberechtigten ist bei einer Bundestagswahl heute gleich viel wert – unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Einkommen. Das wird im Artikel 38 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland geregelt. Danach werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Im 19. Jahrhundert waren hingegen viele Regierungen in Europa davon überzeugt, dass wohlhabende Bürger, die durch ihre Steuerabgaben einen höheren Beitrag zum Staatshaushalt erbrachten, auch ein größeres Stimmrecht haben sollten als Bürger, die weniger oder keine Steuern zahlten. Dieses Wahlsystem wird Zensuswahlrecht genannt.
Auch im Königreich Preußen wurden die Abgeordneten des preußischen Abgeordnetenhauses sowie die Gemeindevertretungen von 1848 bis 1918 nach einem Zensuswahlrecht, dem Dreiklassenwahlrecht, gewählt. Es handelt sich um ein ungleiches Wahlrecht, da die Stimmen der Wahlberechtigten in Abhängigkeit von ihrem Besitz, Einkommen und ihrer Steuerlast unterschiedlich gewichtet wurden. Zugleich erfolgte die Wahl der Abgeordneten indirekt durch Wahlmänner sowie öffentlich und mündlich. Da Frauen von der Wahl ausgeschlossen waren, gilt das Dreiklassenwahlrecht als allgemeines Männerwahlrecht. Das Dreiklassenwahlrecht schränkte die politische Teilhabe der Mittel- und Unterschicht erheblich ein.
Voraussetzungen
Nach den gescheiterten bürgerlich-revolutionären Erhebungen der Jahre 1848 und 1849 in Deutschland stand Preußen vor der Herausforderung, eine Balance zwischen den bürgerlichen Forderungen nach mehr Beteiligung am politischen Prozess und der Erhaltung der bestehenden Machtstrukturen zu schaffen. Im Jahr 1848 erließ der preußische König Friedrich Wilhelm IV. (1795 – 1861) eine Verfassung für das Königreich Preußen ohne Beteiligung einer Volksvertretung. Nur zwei Jahre später wurde die Verfassung im konservativen Sinne verändert.
Preußen hatte nun ein Parlament, welches aus dem Herrenhaus und dem Abgeordnetenhaus bestand. Das Abgeordnetenhaus wurde nach einem Zensuswahlrecht, dem Dreiklassenwahlrecht, gewählt. Dessen wichtigstes Recht bestand darin, den Staatshaushalt zu beschließen und so Kontrolle über die Regierung auszuüben. Ohne die Volksvertretung konnte nun nicht mehr regiert werden. Dennoch verfügte der König weiterhin über eine starke Stellung. Er kontrollierte das Militär und ernannte die Mitglieder des Herrenhauses, Richter, Minister und Beamte.
Preußen hatte als eine der führenden Mächte und als mit Abstand größtes Land Deutschlands erheblichen Einfluss auf die politische Entwicklung in den restlichen deutschen Ländern. So wurden die preußische Verfassung und das Dreiklassenwahlrecht von vielen anderen deutschen Ländern aufgegriffen und in jeweils eigenen Ausprägungen umgesetzt. In Sachsen galt beispielsweise das Fünfklassenwahlrecht.
Die Verfassung des Norddeutschen Bundes (1867) und des Deutschen Reiches (1871) garantierte gegenüber dem preußischen Dreiklassenwahlrecht das allgemeine, direkte und geheime Männerwahlrecht. In vielen deutschen Einzelstaaten galt jedoch weiterhin das Zensuswahlrecht. Die Wahl von Reichstag und von den Landtagen erfolgte also nach unterschiedlichen Wahlsystemen. Erst nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 kam es zur Abschaffung des Zensuswahlrechts, welches von vielen Bürgern als ungerecht wahrgenommen wurde.
Im 19. Jahrhundert stellt das Zensuswahlrecht, zu welchem auch das Dreiklassenwahlrecht zählt, in Europa den Normalfall dar. So wurde beispielsweise in Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Schweden und Norwegen nach einem Zensuswahlrecht gewählt. Bereits im antiken Griechenland und Rom wurden Bürger in Zensusklassen eingeteilt und mit unterschiedlichen politischen Rechten ausgestattet. Dem Zensuswahlrecht zugrunde lag die Idee, dass diejenigen, die den größten finanziellen Beitrag zum Staatshaushalt leisteten, auch das größte Stimmrecht über die Steuerbewilligungen innehaben sollten. So konnten bestehende Machtverhältnisse erhalten bleiben und der politische Einfluss der Bevölkerungsmehrheit eingeschränkt werden.
Die Wahl nach dem Dreiklassenwahlrecht
Zur Wahl berechtigt waren Männer ab 25 Jahren, die seit mindestens sechs Monaten ihren Wohnsitz im Königreich Preußen hatten und über Bürgerrechte verfügten. Empfänger der öffentlichen Armenunterstützung und Frauen waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Wahlberechtigten wurden abhängig von ihren Steuerbeiträgen in drei Abteilungen eingeteilt.
Die erste Abteilung bestand aus Bürgern, auf welche die höchsten Steuerbeträge bis zum Belauf eines Drittels der Gesamtsteuern des Urwahlbezirks fielen. Unter ihnen waren meist Adlige und Großgrundbesitzer. Sie machten meist nur einen geringen Teil der Urwähler aus. In der zweiten Abteilung waren Bürger zusammengefasst, die das zweite Drittel der Gesamtsteuerlast des Urwahlbezirks trugen. Die dritte Abteilung bestand aus den am niedrigsten besteuerten Bürgern, auf welche das letzte Drittel der Gesamtsteuerlast fiel. Zu dieser Abteilung zählten auch diejenigen, welche keine Steuer zahlten.
Wusstest du schon?
Die Einteilung der Wähler in Steuerklassen sorgte dafür, dass die Wählerstimmen nicht gleichwertig waren. Im Jahr 1908 bestand die erste Abteilung, welcher die am höchsten besteuerten Bürger angehörten, in 2 214 von 29 028 Urwahlbezirken aus nur einer Person. Diese hatte das gleiche Stimmrecht wie die gesamte dritte Abteilung, welche aus den am geringsten besteuerten Bürgern bestand.
In Urwahlbezirken wählten die Wahlberechtigten in einer Versammlung drei bis sechs Wahlmänner öffentlich und mündlich durch Stimmgebung zu Protokoll. Dabei stellte jeder Urwahlbezirk je 250 Einwohner einen Wahlmann. Ein Urwahlbezirk musste also über mindestens 750 Einwohner verfügen, durfte aber nicht mehr als 1749 Einwohner beheimaten. Jede Abteilung wählte ein Drittel der Wahlmänner. Mussten vier Wahlmänner in einem Urwahlbezirk gewählt werden, so wählten die erste und die dritte Abteilung je einen und die zweite Abteilung zwei Wahlmänner. Waren fünf Wahlmänner zu wählen, wählten die erste und die dritte Abteilungen je zwei und die zweite Abteilung nur einen Wahlmann. Die gewählten Wahlmänner eines Wahlbezirks, der sich aus mehreren Urwahlbezirken zusammensetzte, wählten in einer weiteren Versammlung einen oder mehrere Abgeordnete für das preußische Abgeordnetenhaus. Alle Wahlen erfolgten nach dem Prinzip der absoluten Mehrheit. In seltenen Fällen, in denen es zu einem Gleichstand zwischen zwei Kandidaten kam, konnte das Los entscheiden, um den Wahlvorgang abzukürzen.
Auswirkungen des preußischen Dreiklassenwahlrechts
Das Dreiklassenwahlrecht bevorteilte die wohlhabende Oberschicht in Preußen, die mehrheitlich konservative Abgeordnete wählte. Der Einfluss der SPD, die sich als Vertreterin der Arbeiter verstand, wurde durch das ungleiche Wahlrecht hingegen gemindert. So gewann die SPD im Jahr 1903 beispielsweise 32 der 236 preußischen Sitze im Reichstag, bei der Wahl zum preußischen Abgeordnetenhaus im selben Jahr jedoch keinen einzigen der 433 Sitze. Gemeinsam mit den Linksliberalen setzte sich die SPD daher fortwährend für die Einführung des Reichstagswahlrechts in Preußen ein. Das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht für Männer und Frauen, wie wir es heute in Deutschland kennen, wurde in vielen Ländern jedoch erst nach 1918 eingeführt.
Alle Männer ab dem Alter von 25 Jahren waren wahlberechtigt. Sie mussten jedoch seit mindestens sechs Monaten ihren Wohnsitz in Preußen haben und über Bürgerrechte verfügen. Männer, die von der öffentlichen Armenfürsorge lebten, und Frauen blieb die politische Teilhabe verwehrt.
Die Stimmen der Wahlberechtigten wurden nach deren Einkommen und Steuerlast unterschiedlich gewichtet. Es erfolgte eine Einteilung der Wahlberechtigten in drei Steuerklassen bzw. Abteilungen.
Die Wahlberechtigten wählten innerhalb ihres Urwahlbezirks und ihrer Abteilung zunächst einen oder zwei Wahlmänner. Diese wählten wiederum die Abgeordneten. Es handelt sich daher um eine indirekte Wahl. Die Stimmgebung erfolgte öffentlich und mündlich.
Ja. Die Stimmen von wohlhabenden Bürgern, welche durch ihr Einkommen und ihren Steuerbeitrag zur ersten Abteilung gezählt wurden, waren höher gewichtet als die Stimmen der anderen Abteilungen. Denn zur ersten Abteilung zählten meist nur sehr wenige Wahlberechtigte. In manchen Urwahlbezirken gab es sogar nur einen Wähler in der ersten Abteilung. In der dritten Abteilung befand sich meist die Mehrheit der Wahlberechtigten.
Dem Zensuswahlrecht lag prinzipiell der Gedanke zugrunde, dass denjenigen mit der höchsten Steuerlast auch das größte Recht hatten, über die Verwendung der Steuern zu entscheiden.
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